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B(r)uchstücke der Literatur LXXII – Stimmungsvolle Nächte

B(r)uchstücke der Literatur LXXII – Stimmungsvolle Nächte

Obwohl die meisten Menschen die Zeit des Tages für das Leben, und die der Nacht zum Ausruhen verwenden, wäre die Frage, welche die Stimmungsvollere ist, nicht leicht zu beantworten. Der farbige, lebendige Tag und die stille, dunkle Nacht haben beide unbestreitbare Reize. Schriftstellern bietet die Dynamik und Vitalität der hellen Tageshälfte ungleich mehr Themen, jedoch die finstere Hälfte verlangt von ihnen, sich mehr als fühlendes Wesen zu zeigen.

Die Nacht zu zweit verleben.

Charles Dickens, Foto: © Library of Congress

„Sie saß am Fenster und sah die abendlichen Schatten aufsteigen und freute sich der stillen Schönheit der nahenden Nacht, die offenbar ebensoviel Anziehung für Frank besaß, der zuerst zögernd näherkam und sich schließlich zu ihr setzte. Zweifellos kann man viele auf einen Sommerabend passende Worte sagen, und zweifellos am besten mit leiser Stimme, dem Frieden und der heiteren Feierlichkeit der Stunde entsprechend; ab und zu lange Pausen, dann ein paar ernste Worte, dann wieder eine stumme Pause, deren Schweigen aber gar nicht so stumm zu sein scheint; vielleicht hin und wieder ein leichtes Abwenden des Kopfes, ein Augenniederschlagen – alle diese kleinen Dinge, vereint mit einer Abneigung gegen das Anzünden der Kerzen und einem gewissen Hang, die Minuten für Sekunden zu halten, sind zweifellos bloßer Einfluss einer solchen Stunde, was viele schöne Lippen jederzeit bestätigen werden.“
Nicholas Nickleby, Charles Dickens (1812-1870), (deutsch: Maria von Schweinitz)

Der Blick zum Himmel lässt Menschen an einen Gott glauben.

Charlotte Bronte, Foto: © University of Texas

„Die Nacht war eingebrochen und die Sterne standen am Himmel. Es war eine ruhige, stille Nacht, sie schien mir zu still für meine Angst. Wir wissen, dass Gott überall ist, aber wir spüren seine Gegenwart besonders dort, wo sich sein Werk am großartigsten offenbart, und das war hier, unter dem wolkenlosen, nächtlichen Sternenhimmel. Hier nahm seine Welt ihren lautlosen Lauf, hier offenbarte er sich in seiner Unendlichkeit, seiner Allmacht und seiner Allgegenwärtigkeit. So kniete ich mich vor ihn und betete für Herrn Rochester. Ich blickte zum Himmel und sah die Milchstraße vor mir. Und dann dachte ich an die unendlich vielen planetaren Systeme, die dort oben in einem milden Lichtscheine schwebten, und dieser Gedanke gab mir Zuversicht in die Allmacht Gottes. Wie sollte er nicht retten können, was er selbst geschaffen hatte. Ich überzeugte mich, dass so, wie die Erde nicht verdirbt, auch keine Seele von ihm vergessen wird. So fügte ich meinen Bitten ein Dankgebet hinzu. Denn die Quelle des Lebens war ja auch die Rettung der Seelen, und Herr Rochester musste in Gottes Hut sein. Wieder legte ich mich nieder, und bald befreite mich Schlaf von meinen kummervollen Gedanken.“
Jane Eyre, Charlotte Bronte (1816-1855), (deutsch: Helmut Kossodo)

Nächtlicher Himmel und schweifende Gedanken.

Aldous Huxley, Foto: © Life Magazine

„Die Nacht war still und klar. Mr. Hutton blickte zu den Sternen und den Räumen zwischen ihnen empor, senkte die Augen zu den matten Wiesenflächen und farblosen Blumen des Gartens und ließ sie über die entfernte Landschaft wandern, die schwarz und grau im Mondlicht lag.
Er begann mit einer Art verworrener Heftigkeit zu denken. Es gab Sterne und es gab einen Milton. Ein Mann konnte, gewissermaßen, den Sternen und der Nacht ebenbürtig sein. Größe, Würde! Aber gab es im Ernst einen Unterschied zwischen dem Würdevollen und dem Würdelosen? Milton, die Sterne, der Tod und er selbst – er selbst? Die Seele, der Leib; das höhere und das niedere Wesen. Am Ende war vielleicht doch etwas daran. Milton hatte einen Gott an seiner Seite und Rechtschaffenheit. Und er? Nichts, gar nichts. Da waren nur Doris´ kleine Brüste. Was war der Sinn des Ganzen? Milton, die Sterne, der Tod, Emily in ihrem Grab, Doris und er selbst, immer er selbst…“
Das Lächeln der Gioconda, Aldous Huxley (1894-1963), (deutsch: Herberth E. Herlitschka)

Die Nacht und Poesie sind Verbündete.

„Vor dem Kalkbruch lag ein runder Teich, und darüber hing rippendürr ein fahlgelber Mond, dem nur mehr wenige Tage beschieden waren – von links rückte der Morgenstern gegen ihn vor. Der Teich glänzte wie das Auge eines Toten; eine Brise fuhr über ihn, als die Welt erwachte, sie dehnte und verzerrte das Spiegelbild des Mondes, ohne es zu zerbrechen, und verwandelte den Widerschein des Sterns zu einem leuchtenden Strich auf dem Wasser.“
Am grünen Rand der Welt, Thomas Hardy (1840-1928), (deutsch: Peter Marginter)

Thomas Hardy, Foto: © National Potrait Gallery London

Der Nachthimmel und staunenswerte Erkenntnisse.

Vincent Cronin, Foto: © archive.org

„Es ist eine faszinierende Geschichte. Selbst ein Dichter hätte kaum zu behaupten gewagt, dass die Erde mit den Sternen verwandt ist, dass sie vielleicht aus einem ungeheuer weit entfernten Bereich unserer Milchstraße stammt, in dem einst ein Stern blendend hell aufleuchtete und zerbarst. Aus welcher Eingebung heraus hätte der Dichter sich vorstellen sollen, dass der beinahe unfassbar schwere Kern der Erde ursprünglich ein riesiger Schwarm von Eisenatomen war, die einst in grandioser Einsamkeit durchs Weltall flogen, nachdem sie aus dem zerfallenden heißen Körper eines Sterns hervorgegangen waren? Pindar, der Goldadern mit der Sonne in Verbindung brachte, hätte sich niemals dazu verstiegen, den Ursprung der Erde in einer anderen Sonne zu suchen.
Doch damit sind die verblüffenden Zusammenhänge noch nicht erschöpft. Unser Körper enthält 3 Gramm Eisen, 3 Gramm silberweißes Magnesium und kleinere Mengen Mangan und Kupfer. Diese Elemente, deren Atome, ihrer Größe entsprechend, zu den schwersten in unserem Körper gehören, haben den gleichen Ursprung – einen längst nicht mehr existierenden Stern. In uns allen ist etwas von einem Stern.
Von Neuem staunend betrachte ich den Nachthimmel. Vielleicht bin ich im Vergleich mit den Himmelskörpern nur ein Partikel, von dem nächsten durch leeren Raum von solcher Weite getrennt, dass alle von Menschen je durchmessenen Entfernungen zusammengenommen ihn nicht überbrücken könnten, und doch hängt der Akt des Schauens und des Staunens von Atomen in mir ab, die sich auch in vielen Sternen befinden. Ich sehe die Sterne dank eines Sterns, dessen Tod meine Geburt ermöglichte.“
Die Säulen des Himmels, Vincent Cronin (1924-2011), (deutsch: Margitta Hervás und Rudolf Schulz)

Nochmals nächtliche Poesie.
„Und gerade in diesen Nächten waren die Sterne groß und wie aus Goldpapier gestanzt und flimmerten fett wie aus Teig gebacken, und der Himmel war noch in der Nacht blau, und die dünne, mädchenhafte Mondsichel, ganz silbern oder ganz golden, lag auf dem Rücken mitten darin und schwamm in Entzücken.“
Die Amsel, Robert Musil (1880-1942)

Robert Musil, Foto: © viadellebelledonne.files.wordpress,com

Und aus der Nacht kommen wir jetzt wieder zurück in den Tag, den Heinrich Heine so sah:
„Der Tag ist nur der weiße Schatten der Nacht.“
Euer Kultur Jack!

Beitragsbild: Nacht,  Foto: © Pixabay

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !