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Gewirkte Geschichte(n)

Gewirkte Geschichte(n)

Es gibt ein Manko, unter dem allen bedeutenden Museen der Welt leiden: das Überangebot an Ausstellungsobjekten. Wenn man Handwerk oder Gemälde eingehend betrachtet, ist das Aufnahmevermögen des Geistes spätestens nach 6-7 Sälen eigentlich erschöpft. So muss der Besucher Prioritäten setzen, und deshalb führen manche Kunstwerke ein Schattendasein, inmitten regen Kunstbetriebes. Eine Gattung dieser „Stiefkinder“ sind Tapisserien und textile Objekte.

 

Die Bildwirkerei – dieser mittelalterliche Ausdruck wurde von der Wissenschaft wieder aufgenommen – beinhaltet als Begriff die Erzeugung durch Einwirken eines Abbilds in eine textile Fläche, sowie auch das Endprodukt: die Tapisserie. Die Kunst der Wirkerei lässt sich bereits Jahrtausende zurückverfolgen und zählt, neben der Töpferei und Weberei, zu den Anfängen menschlichen Handwerks. Vorchristliche Arbeiten sind, dank des trockenen Wüstenklimas, aus dem ägyptischen Raum erhalten. Jedoch die Blütezeit dieser Kunst liegt im Mittelalter und der Renaissance.

 

Als Vorarbeit für die Werkstatt erstellt ein Künstler einen Karton. Als Karton bezeichnet man, in diesen Fall, die gemalte Darstellung des später gewirkten Objekts im Verhältnis 1:1, also in Originalgröße. Auf diesem Entwurf werden die Farbflächen und deren Grenzen bereits festgelegt. Gewirkt wird, immer von der Rückseite des Bildes ausgehend, auf einem Hochwebstuhl oder Flachwebstuhl, wobei der Karton, nach Webstuhl technisch unterschiedlich, als Vorlage dient.

 

Obwohl ebenfalls mit „Kette“ und „Schuss“ gearbeitet wird, unterscheidet sich die Wirkerei in der Herstellung doch grundsätzlich vom Weben eines Teppichs. Generell ist ein gewirktes Bild nicht maschinell herzustellen, sondern nur manuell. Für die Einhaltung der genauen Konturen wird bei beiden Webstühlen mit Spiegeln gearbeitet. Die Fertigung eines gewirkten Wandbildes ist sehr zeitaufwendig, pro Quadratmeter können schon einige Wochen vergehen, und das schlägt sich natürlicherweise im Preis nieder.

 

Die Kosten der Tapisserie richten sich nach der Größe der Arbeit, denn man kann, je nach vorhandenem Platz, die Maße genau bestellen. Die verwendeten Materialien sind ein zusätzlicher Kostenfaktor. Leinen und Baumwolle verwendet man für die stark beanspruchten Kettfäden, jedoch für die Schussfäden ist Seide, Wolle, aber auch Silber- und Goldfäden eine Variante. Die bedeutendsten Werkstätten hatten in Frankreich, Flandern, Niederlande, Schweiz und Deutschland ihre Zentren.

 

Tapisserien des frühen Mittelalters zeigen meist religiöse Themen, da sie für Kirchenräume vorgesehen waren, und meist in Klöstern hergestellt wurden. Jedoch dauerte es nicht lange, dass Monarchen und Fürsten die repräsentativen Möglichkeiten dieser Kunstwerke erkannten und zu den wertvollsten Objekten ihrer Kunstkammern avancierten. So konnte jeder Herrscher die Machtfülle und Glanztaten seiner Regentschaft wortlos präsentieren. Auch die griechische Mythologie und Kriegsszenen wurden zu beliebten Themen.

 

Der repräsentative Schmuck des gewirkten Bildes wurde auch noch durch Zweckmäßigkeit ergänzt. So ließen sich die Kunstwerke als Raumteiler verwenden, verdeckten unschöne, aber notwendige architektonische Konstruktionen und dämmten Schall und Zugluft in Burgen und Schlössern. Exklusive Verwendung fand die Tapisserie ebenso für Kissen, Sitzbezüge, Kamin- und Wandschirme.

 

Es war nur eine Frage der Zeit, bis ganze Bildserien eines Ereignisses, oder der Ablauf eines Zeitgeschehens abgebildet wurden. Zu bedenken wäre auch, dass zur Höchstblüte der Bildwirkerei die wenigsten Menschen Lesen und Schreiben konnten und somit eine Bildergeschichte für jedermann verständlich war.

 

Liebe Leute, gewirkte Bildteppiche gehören zu den erlesensten künstlerischen und handwerklichen Erzeugnissen die Museen von Weltruf zu bieten haben, deshalb sollte bei einem Besuch einer solchen Institution keinesfalls daran vorbeigegangen werden.
Euer Kultur Jack!

Beitragsbild. Die Dame mit dem Einhorn, Musée de Cluny, um 1500 Foto: © Jean-Pierre Dalbéra

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !