Des Kaisers Puppen – Das Josephinum in Wien
Die Geschichte der medizinischen Lehre und Forschung in Österreich ist eine lange und erfolgreiche. Die Reformpolitik Maria Theresias (1717-1780) führte, nach der Ernennung Gerard van Swieten zu ihrem Leibarzt, zur Gründung der „ersten Wiener Medizinischen Schule“ und der ersten modernen Wiener Klinik.
Die großen Fortschritte im Zeitalter der Aufklärung führten unter ihrem Sohn und Nachfolger, Kaiser Joseph II. (1741-1790), zur Errichtung des „Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien“, welches einen beeindruckenden Gebäudekomplex darstellte. Der Wissensdrang dieser Zeit verlangte jedoch auch noch den Bau einer chirurgischen Akademie, die der Ausbildung von Militärärzten für die österreichische Armee diente – dem Josephinum!
1785 eröffnet, wurde die Akademie bereits ein Jahr später allen Fakultäten der Universität gleichgestellt, und erhielt das Recht Doktoren und Magister der Medizin zu graduieren. Der Bau zeigt eine Architektur des Übergangs vom Barock zum Klassizismus. 1874 wurde die Akademie aufgelassen und heute dient das würdige Gebäude als Institut und Museum der Geschichte der Medizin. Eine große Besonderheit dieser Institution, die aus des Kaisers Zeiten bis zum heutigen Tag für Staunen und Bewunderung sorgt, sind eine Anschaffung, die der Herrscher selbst in Auftrag gab: die Wachsmodelle!
Im Jahre 1769 besuchte der Kaiser seinen Bruder Leopold, der als Großherzog der Toskana in Florenz seinen Lebensmittelpunkt hatte. Leopold wollte die großherzoglichen Sammlungen, im Sinne der Aufklärung, der Allgemeinheit zugänglich machen und veranlasste die Einrichtung des Naturkundemuseums „La Specola“. Zu Schauzwecken wurden, in einer Zusammenarbeit von Künstlern, Anatomen und Handwerkern, tierische, pflanzliche und anatomische Präparate aus Wachs angefertigt und ausgestellt. Was den Kaiser zuerst schockiert haben könnte, schlug schnell in Begeisterung um, denn er sah das Innere des menschlichen Körpers in nie dagewesener Präzision und Professionalität.
Im Zuge der Planung für die chirurgische Akademie, und in Erinnerung seinem eigenen Enthusiasmus für die Wachsmodelle, gab der Kaiser von Wien aus eine umfangreiche Bestellung für anatomische Lehrzwecke in Auftrag. Sechs Jahre lang wurde an der ersten Bestellung in Oberitalien, wo das Zentrum der Modellierkunst lag, gearbeitet und als Modelle dienten Leichen. 1784 wurden, in einem aufwendigen Transport auf Tierrücken über die Alpen und danach per Schiff auf der Donau, die ersten Objekte verpackt und zerlegt geliefert.
Die Hersteller hatten wunderbare Arbeit verrichtet, denn die Modelle zeigten in beeindruckend realistischer Weise das anatomische Innenleben von uns Menschen in vielen Aspekten. Jedoch auch künstlerische Facetten fanden Beachtung, und die Posen der Ganzkörperfiguren, wurden nach Skizzen Michelangelos gestaltet. Zur Präsentation wählte man Vitrinen aus Rosenholz mit mundgeblasenen, venezianischen Glaswänden.
Joseph II. bestellte im Laufe seines Lebens 1192 Modelle, gemischt und hergestellt aus Wachs und Harz, und hatte dafür 30.000 Gulden zu bezahlen. Im Sinne eines aufgeklärten Herrschers, machte der Kaiser die Präparate jedoch nicht nur angehenden Ärzten zu Lehrzwecken zugängig, sondern sie waren auch für die Allgemeinheit zu bestaunen, um die Untertanen über den menschlichen Körper weiterzubilden. Das stieß jedoch bei den Untertanen nicht auf einhellige Begeisterung, denn etliche konnten einem morbiden Spektakel aus Muskeln, Innereinen und Blutkreisläufen nicht viel abgewinnen.
Nach dem Tod des Kaisers erfuhr die Akademie weit weniger Beachtung, wurde aber 1822 den Universitäten gleichgestellt, 1854 als eine Bildungsanstalt für Feldärzte geführt und 1874 endgültig geschlossen. Heute ist im Josephinum das Institut für die Geschichte der Medizin untergebracht, und die Wachsmodelle können im Rahmen einer musealen Präsentation in ihren Originalvitrinen besichtigt werden.
Die Sammlung des Museums beschränkt sich aber nicht nur auf die Wachspräparate, sondern umfasst noch 2500 historische medizinische Instrumente, Nachlässe berühmter Ärzte und Teile der Universitätsbibliothek. Ungewöhnliche Objekte der Schaustellung sind Theodor Billroths Mikroskop, ein handschriftlicher Lebenslauf Sigmund Freuds oder die Feile, mit der Kaiserin Elisabeth in Genf ermordet wurde.
Manch heutiger Besucher mag die Darstellung von scheinbar schlafenden Frauengesichtern mit geöffneten darunterliegenden Körpern, oder gehäutete Männer in stehender Pose, gespenstisch und morbid empfinden, aber so sind wir Menschen unter unserer Oberfläche unleugbar geschaffen. Warum diese Objekte Eingang in einen Kulturblog finden, liegt daran, dass sie handwerklich auf hohem Niveau geschaffen wurden und in beeindruckender Weise die Handschrift von Künstlern tragen.
Euer, Kultur Jack!
Foto Eingangsbild: © Josephinum/Ablogin