Seite auswählen

B(r)uchstücke der Literatur LXIX – Glaube und Religion

B(r)uchstücke der Literatur LXIX – Glaube und Religion

Der Glaube ist ein bemerkenswertes Phänomen in unserer Welt – manche richten ihr gesamtes Leben nach einer künftigen Verheißung, andere glauben an ein Nichts nach dem Leben. Für den Glauben wird geliebt, geholfen, verzichtet, geopfert, aber oft sind auch Gewalt, Unmenschlichkeit und Tod seine Folgen. Jeden Menschen führt das Leben zu irgendeiner Erkenntnis, und Diskussionen darüber können sehr hitzig werden. Die Literatur kann bei diesem Thema recht hilfreich sein, denn sie zeigt uns womöglich Wege, die man bisher nicht sah und die unseren Glauben umformen können.

Mohandas Karamchand Gandhi war in seinem Glauben unbeirrbar und hat mit seinem Wirken ein Weltreich in die Knie gezwungen.

Mahatma Gandhi, Foto: © Picryl

„Die Regel, giftige Reptilien nicht zu töten ist größtenteils in Phoenix, auf der Tolstoifarm und zu Sabarmati verwirklicht worden. An all diesen Plätzen mussten wir auf Ödland siedeln. Trotzdem hatten wir keine Verluste an Menschenleben durch Schlangenbisse. Mit dem Auge des Glaubens sehe ich in diesem Umstand die Hand des gnädigen Gottes. Möge das niemand bekritteln mit der Behauptung, Gott könne nie parteiisch sein und habe auch keine Zeit, sich mit den alltäglichen Angelegenheiten der Menschen zu befassen. Ich besitze keine andere Sprache, um das Tatsächliche der Sache auszudrücken und meine bleibende Erfahrung damit zu beschreiben. Die menschliche Sprache vermag Gottes Wege nur unvollkommen zu beschreiben. Ich bin mir der Tatsache vollauf bewusst, dass sie nicht zu beschreiben und zu erforschen sind. Doch wenn der sterbliche Mensch es wagen will, sie zu beschreiben, so besitzt er kein besseres Medium, als seine eigene unartikulierte Sprache. Selbst wenn es ein Aberglaube wäre, anzunehmen, es wäre kein bloßer Zufall, sondern eine Gnade Gottes, dass wir 25 Jahre lang vor Schaden bewahrt blieben, obwohl wir so gut wie stets die Regel des Nichttöten Beobachteten – ich müsste mich zu diesem Aberglauben bekennen.“

Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit, Eine Autobiographie, M.K.Gandhi (1869-1948)

Die Kirche als Ort der Versammlung.

„Wenn er sich allein in der Kirche aufhielt, dachte er darüber nach, was sie ihm bedeutete als Haus, in dem niemand wohnte, als Gebäude, das errichtet worden war, um eine Vorstellung von der Natur der Dinge zu verkörpern, als Ort, wo gewisse Sätze, gewisse Gebete, gewisse Glaubensbekenntnisse, über Jahrhunderte hinweg wieder und wieder gesagt worden waren, und als Gebäude, in dem eine Gemeinde ihrem gemeinschaftlichen Leben mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte als den individuellen Bedürfnissen von Männern und Frauen.“

Stillleben, Antonia S. Byatt (geb.1936)

Antonia S. Byatt, Foto: © Flickr Fred Ernst

 

Die Zwiesprache mit dem Schöpfer.

„O Herr, hast du für uns die Nacht so tief und schön gemacht? Oder für mich? Die Luft ist lau, und durch mein offenes Fenster strömt das Mondlicht herein, und ich horche hinaus in das unergründliche Schweigen des Himmels. Oh, in der Anbetung der großen Schöpfung ist mein Herz ganz verwirrt und vergeht in wortloser Verzückung. Nur noch beten kann ich vor Ergriffenheit. Wenn es Grenzen der Liebe gibt, dann sind sie nicht von Dir, mein Gott, sondern von den Menschen gesetzt. Wie schuldig meine Liebe vor den Augen der Menschen auch erscheint, o sag mir, dass sie heilig ist vor Deinem Angesicht.“

Die Pastoralsymphonie, André Gide (1869-1951)

Andre Gide, Foto: © National Portrait Gallery

 

Der österreichische Bildhauer Alfred Hrdlicka galt „Enfant Terrible“ der Kunstszene und er nahm sich, auch in punkto Religion, kein Blatt vor den Mund.

Alfred Hrdlicka, Foto: © Martina Judt

„Diesen kleinlichen Vorbehalten zum Trotz freue ich mich schon auf die ORF – Eigenproduktion „Wojtyla und sein Knecht Dalma“, der als militanter Kerzelschlucker zwecks objektiver Berichterstattung seit Jahren Sonderkorrespondent in Rom ist, während, dies zur Seite gesprochen, für den Ostblock eingefleischte Antikommunisten zuständig sind. Aber auch andere Meinungsmacher, wie „Krone“ oder „Kurier“, wollen nicht zurückstehen, laut „Zeit in Bild“ stellen sie ihre Hostessen – Kontaktinserate ein, weil der Papst nach Wien kommt. Mag sein, dass Johannes Paul II. auf der Suche nach guten Rezensionen in diesen Blättern blättert, aber was sollte er im Annoncenteil suchen? Immobilien? Für Grundstückspekulationen ist die Bank des Heiligen Geistes zuständig. Für den kugelsicheren Gebrauchtwagen ist gesorgt. Wer im Vatikan Hausherr, in Castel Gandolfo residiert und auf Reisen bestens untergebracht, ist nicht auf Wohnungssuche. Also Heiratsanzeigen? Bei aller Reisewut und Medienbeflissenheit, der Weltknüller Hochzeitsreise lässt sich nicht verwirklichen. Was soll also diese freiwillige Selbstzensur der beiden auflagenstärksten Zeitungen Österreichs? Man fürchtet für das päpstliche Gefolge! Seit bekannt wurde, dass der Erzbischof von Paris in den Armen zweier Wohnungsprostituierten verschied, sind Annoncen dieses Genres wohl auf den Index gesetzt.“

Schaustellungen, Alfred Hrdlicka (1928-2009)

Hinterfragen und zweifeln waren in jedem Jahrhundert legitim.

Gottfried Keller, Foto: © Zentralbibliothek Zürich

„Nach der Lehre von der Sünde kam gleich die Lehre vom Glauben, als der Erlösung von jener, und auf sie wurde eigentlich das Hauptgewicht des ganzen Unterrichts gelegt; trotz aller Beifügungen, wie dass auch gute Werke vonnöten seien, blieb der Schlussgesang doch immer und allein: Der Glaube macht selig! und dies uns einleuchtend zu machen als herangewachsenen jungen Leuten, wandte der geistliche Mann die möglichst annehmliche und vernünftig scheinende Beredsamkeit auf. Wenn ich auf den höchsten Berg laufe und den Himmel abzähle, Stern für Stern, als ob sie ein Wochenlohn wären, so kann ich darunter kein Verdienst des Glaubens entdecken, und wenn ich mich auf den Kopf stelle und den Maiblümchen unter den Kelch hinaufgucke, so kann ich nichts Verdienstliches am Glauben ausfindig machen. Wer an eine Sache glaubt, kann ein guter Mann sein, wer nicht, ein ebenso guter. Wenn ich zweifle, ob zweimal zwei vier seien, so sind es darum nicht minder vier, und wenn ich glaube, dass zweimal zwei vier seien, so habe ich mir darauf gar nichts einzubilden, und kein Mensch wird mich darum loben. Wenn  Gott eine Welt geschaffen und mit denkenden Wesen bevölkert hätte, alsdann sich in einen undurchdringlichen Schleier gehüllt, das geschaffene Geschlecht aber in Elend und Sünde verkommen lassen, hierauf einzelnen Menschen auf außerordentliche und wunderbare Weise sich offenbart, auch einen Erlöser gesendet unter Umständen, welche nachher mit dem Verstande nicht mehr begriffen werden konnten, von dem Glauben daran aber die Rettung und Glückseligkeit aller Kreatur abhängig gemacht hätte, alles dies nur um das Vergnügen zu genießen, dass an ihn geglaubt würde, Er, der seiner doch ziemlich sicher sein dürfte: so würde die ganze Prozedur eine gemachte Komödie sein, welche für mich dem Dasein Gottes, der Welt und meiner selbst alles Tröstliche und Erfreuliche benähme. Glaube! O wie unsäglich blöde klingt mich dieses Wort an! Es ist die allerverzwickteste Erfindung, welcher der Menschengeist machen konnte in einer zugespitzten Lammslaune! Wenn ich des Daseins Gottes und seiner Vorsehung bedürftig und gewiss bin, wie entfernt ist dieses Gefühl von dem, was man Glauben nennt! Wie sicher weiß ich, dass die Vorsehung über mir geht, gleich einem Stern am Himmel, der seinen Gang tut, ob ich nach ihm sehe, oder nicht nach ihm sehe. Gott weiß, denn er ist allwissend, jeden Gedanken, der in meinem Inneren aufsteigt, er kennt den vorigen, aus welchem er hervorging, und sieht den folgenden, in welchen er übergeht; er hat allen meinen Gedanken die Bahn gegeben, die ebenso unausweichlich ist, wie die Bahn der Sterne und der Weg des Blutes; ich kann also wohl sagen: ich will dies tun, oder jenes lassen, ich will gut sein oder mich darüber hinwegsetzen, und ich kann durch Treue und Übung es vollführen; ich kann aber nie sagen: ich will glauben oder nicht glauben; ich will mich einer Wahrheit verschließen oder ich will mich ihr öffnen! Ich kann nicht einmal bitten um Glauben, weil, was ich nicht einsehe, mir niemals wünschbar sein kann, weil ein klares Unglück, das ich begreife, noch immer eine lebendige Luft zum Atmen für mich ist, während eine Seligkeit, die ich nicht begriffe, Stickluft für meine Seele wäre.“

Der grüne Heinrich, Gottfried Keller (1819-1890)

Die Sichtweise von Schriftstellern auf Glaube und Religion hat eine besondere Stellung in der Spiritualität, denn der Lesende muss nicht dafür oder dagegen argumentieren, sondern er kann sie, zeitlich unbegrenzt, auf sich wirken lassen und mit seinem Weltbild abgleichen.

Euer Kultur Jack!

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !