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B(r)uchstücke der Literatur LXX – Die Schönheit der Sprache

B(r)uchstücke der Literatur LXX – Die Schönheit der Sprache

Von Zeit zu Zeit kommentieren Leser in meinen Beiträgen, dass ihnen der Inhalt von Romanen der Weltliteratur langweilig erscheint. Ein Hauptfehler mag dabei sein, dass so mancher unzulässige Vergleiche zieht. Das Anziehen der Spannungsschraube, wie es ein Stephen King meisterhaft versteht, wird man bei Charles Dickens vergeblich suchen, jedoch breitet der grandiose Romancier des viktorianischen Zeitalters ein Erlebnis vor uns aus, dass man beim Meister des Horrors vergeblich suchen wird: Die Schönheit der Sprache! Die Eloquenz der überragenden Geister und Poeten der Literatur kann den Leser atem- und sprachlos zurücklassen, und das ist ein Abenteuer, das keineswegs in Langeweile mündet, und der Handlung einer Geschichte mindestens ebenbürtig ist.

Nur eine Alltagsszene, jedoch voll Poesie.

Virginia Woolf, Foto: © Fillipo Venturi Photography Blog

„Statt umherzugaukeln, tanzten die weißen Schmetterlinge einer über dem andern, zeichneten mit ihrem Hin und Her weißer Flocken die Umrisse einer splitternden Marmorsäule über den höchsten Blumen. Die Glasdächer des Palmenhauses schimmerten; als hätte sich ein ganzer Marktplatz voll glänzender grüner Schirme in der Sonne entfaltet. Und in dem Dröhnen des Flugzeugs murmelte die heiße Seele des Sommerhimmels. Gelb und schwarz, rosa und schneeweiß waren Gestalten aus all diesen Farben, Männer, Frauen und Kinder, für eine Sekunde an den Himmelrand getupft. Dann aber, sobald sie den breiten Streifen von Gelb erblickten, der quer über das Gras lag, wankten sie und suchten Schatten unter den Bäumen, zerflossen wie Wassertropfen in der gelben und grünen Atmosphäre, fleckten sie ein wenig rot und blau. Es schien, dass alle diese plumpen, schweren Leiber in der Hitze hingesunken waren und in regungslosem Durcheinander auf dem Erdboden lagen. Doch ihre Stimmen flackerten aus ihnen auf, als wären sie Flammen, die sich aus dicken wächsernen Kerzenleibern rekelten. Stimmen. Ja, Stimmen. Wortlose Stimmen, die die Stille jäh mit so inniger Zufriedenheit unterbrachen, so leidenschaftlichem Verlangen oder, die Kinderstimmen, mit so frischem Staunen. Die Stille unterbrachen? Doch da war keine Stille. Die ganze Zeit ließen die Autobusse ihre Räder rollen und schalteten die Gänge. Gleich einem riesigen Satz chinesischer Schachteln, alle aus geschmiedetem Stahl, die sich, eine in der anderen, unaufhörlich drehten, murmelte die Stadt, und obenauf riefen die Stimmen, und die Blütenblätter von Millionen Blumen blinkten ihre Farben in die Luft.“
Die Dame im Spiegel, Im Botanischen Garten, Virginia Woolf (1882-1941), (Deutsch: Herbert &Malys Herlitschka)

Fünf Uhr nachmittags.

Henry Fielding, Foto: © Library of Congress

„Die hohen Berge begannen jetzt längere Schatten zu werfen; das gefiederte Völkchen hatte sich zur Ruhe begeben. Nun setzte sich die oberste Klasse der Sterblichen an ihr Mittagsmahl, die niedrigste an ihr Abendbrot. Mit einem Wort, die Uhr schlug fünf, als Mr. Jones von Gloucester aufbrach, zu einer Stunde, da (es war jetzt um die Wintersonnenwende) die Nacht mit schmutzigen Fingern ihren Vorhang über das Universum gezogen hätte, wäre ihr nicht der Mond dazwischengekommen, der sich jetzt mit einem Gesicht, so rund und rosig wie das mancher fröhlicher Sterblicher, die wie er die Nacht zum Tage machen, von seinem Bett zu erheben begann, wo er den Tag verschlafen hatte, um die ganze Nacht zu wachen.“
Tom Jones, Henry Fielding (1707-1754), (Deutsch: Horst Höckendorf)

Der eigene Standort ist nicht das Ende der Welt.
„Ein hohes Zimmer stand um ihn, und dieses war wieder von den großen, leeren Räumen des Vorzimmers und der Bibliothek umgeben, um welche, Schale über Schale, weitere Räume, Stille Devotion, Feierlichkeit und der Kranz zweier geschwungenen Steintreppen sich legten; wo diese in die Einfahrt mündeten, stand in schwerem, tressenbeladenem Mantel, seinen Stab in der Hand, der große Türhüter, er sah durch das Loch des Torbogens in die helle Flüssigkeit des Tags, und die Fußgänger schwammen vorbei wie in einem Goldfischglas.“
Der Mann ohne Eigenschaften, Robert Musil (1880-1942)

Robert Musil, Foto: © viadellebelledonne. files.wordpress.com

 

Proust zu lesen, verlangt Aufmerksamkeit und Konzentration. Jedoch für bloße Sonnenstrahlen solche Worte zu finden, zeigt den wahren Dichter.

Marcel Proust by Jaques-Emile Blanche, Foto: © www.lne-es.asturama

„Und zu dieser Stunde, da die Sonnenstrahlen je nach der Lage der betreffenden Seite von den verschiedenen Richtungen her sich an den Mauerecken brachen, neben einen Reflex, der von der Brandung herrührte, auf die Kommode ein Schmuckaltärchen setzten, das bunt wie die Blumen am Wege war, an die Wand die gefalteten, warm zitternden Flügel einer Helligkeit hefteten, als ob sie gleich wieder fortflattern wollte, ein Viereck des provinziellen Teppichs aufheizten wie ein Bad unter dem kleinen Hoffenster, das die Sonne wie mit Weinlaubgehängen bekränzte, den Reiz und die Vielfalt der Möbelausstattung mehrten, indem sie die Blätter der blumigen Seide stärker hervortreten und die Stickerei ausdrucksvoller erscheinen ließen, glich das Zimmer, das ich einen Augenblick durchschritt, bevor ich mich für die Ausfahrt umkleidete, einem Prisma, das die Farben des von außen her einfallenden Lichtes zerlegte, oder einer Bienenwabe, in der die Säfte des Tages, die ich kosten sollte, noch verteilt und zerstreut, doch berauschend und sichtbar vorhanden waren, oder einem Garten der Hoffnung, der im zitternden Weben der Strahlen und rosigen Blütenblättern verschwamm.“
Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Im Schatten junger Mädchenblüte, Marcel Proust (1871-1922), (Deutsch: Eva Rechel-Mertens)

Die Schönheit der Jugend,

Thomas Mann, Foto: © digitale bibliotheek voor de Nederlandse letteren

„Er kam durch die Glastür und ging in der Stille schräg durch den Raum zum Tisch seiner Schwestern. Sein Gehen war sowohl in der Haltung seines Oberkörpers wie in der Bewegung der Knie, dem Aufsetzen des weiß beschuhten Fußes von außerordentlicher Anmut, sehr leicht, zugleich zart und stolz und verschönt noch durch die kindliche Verschämtheit, in welcher er zweimal unterwegs, mit einer Kopfwendung in den Saal, die Augen aufschlug und senkte. Lächelnd, mit einem halblauten Wort in seiner weich verschwommenen Sprache nahm er seinen Platz ein, und jetzt zumal, da er dem Schauenden sein genaues Profil zuwandte, erstaunte dieser aufs Neue, ja erschrak über die wahrhaft gottähnliche Schönheit des Menschenkindes. Der Knabe trug heute einen leichten Blusenanzug aus blau und weiß gestreiftem Waschstoff mit rotseidener Masche auf der Brust und am Halse von einem einfachen weißen Stehkragen abgeschlossen. Auf diesem Kragen aber, der nicht einmal sonderlich elegant zum Charakter des Anzugs passen wollte, ruhte die Blüte des Hauptes in unvergleichlichem Liebreiz, – das Haupt des Eros, vom gelblichen Schmelz parischen Marmors, mit feinen und ernsten Brauen, Schläfen und Ohr vom rechtwinkelig einspringenden Geringel des Haares dunkel und weich bedeckt.“
Der Tod in Venedig, Thomas Mann (1875-1955)

Der Morgen dämmert herauf.

Miguel de Cervantes by Luis Tasso, Foto: © Universidad de Sevilla

„Unterdessen begannen bereits tausenderlei bunte Vöglein auf den Bäumen zu trillern und schienen mit ihren mannigfachen frohen Gesängen Willkomm und Gruß zu bieten der frischen Morgenröte, die bereits an den Pforten und Erkern des Ostens die Reize ihres Angesichts enthüllte und aus ihren Locken eine unzählige Menge feuchter Perlen schüttelte, in deren süßem Nass sich die Pflanzen badeten und nun auch aus ihrem Schoße weißen feinen Perlenstaub auszustreuen und niederzuregnen schienen. Die biegsamen Weiden tröpfelten erquickliches Manna, die Brünnlein lachten plätschernd, die Bäche murmelten, die Wälder wurden heiter, und die Wiesen schmückte reicher der Glanz des kommenden Morgens.“
Don Quijote, Miguel Cervantes (1547-1616), (Deutsch: Ludwig Braunfeld)

Liebe Leute, eine Geschichte zu entwickeln, welche den Nerv und das Interesse der Leser treffen, macht den Schreibenden zum Schriftsteller. Jedoch die Erzählung in die richtigen Worte zu kleiden, macht den Schriftsteller zum Literaten und Poeten.
Euer Kultur Jack!

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !