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B(r)uchstücke der Literatur XIX Wir schreiben Deutsch

B(r)uchstücke der Literatur XIX  Wir schreiben Deutsch

Es ist schon eine eigenwillige Ansicht, die Ingeborg Bachmann zu großen Anhäufungen hat. Darüber nachzudenken, ist sie trotzdem wert.

Foto: © Neithan 90

Tausende von Stoffen, Tausende von Konservendosen, von Würsten, von Schuhen und Knöpfen, diese ganze Anhäufung von Waren, machen die Ware schwarz vor meinen Augen,. In einer großen Zahl ist alles zu sehr bedroht, eine Menge muss etwas Abstraktes bleiben, muss eine Formel aus einer Lehre sein, etwas Operables, muss die Reinheit der Mathematik haben, nur die Mathematik lässt die Schönheit von Milliarden zu, eine Milliarde Äpfel aber ist ungenießbar, eine Tonne Kaffee spricht schon von zahllosen Verbrechen, eine Milliarde Menschen ist etwas unvorstellbar Verdorbenes, Erbärmliches, Ekliges, in einen schwarzen Markt Verstricktes, mit dem täglichen Bedürfnis nach Milliarden von Broten, Erdäpfeln und Reis-Rationen.
Malina (Ingeborg Bachmann 1926-1973)

 

Um den Anblick des Sternenhimmels zu beschreiben, ringt jeder Autor um seine besten Zeilen, damit man dieser unglaublichen Pracht gerecht wird.

Die Nacht mit übermäßig scharfen Sternen. Alle großen Bilder drehten sich um den Felsen, die Milchstraße führte von einem Ende der Welt zum anderen, und die unter die Sterne versetzten Tiere berührten sich nicht, und zwischen ihnen war nichts als schwarze Klarheit.
Rote Pfeile (Heinz Piontek 1925-2003)

Liebt man außergewöhnliche, phantasiereiche, skurrile Erzählungen, die auch noch mit einer gewaltigen Prise Humor gewürzt sind, dann ist man bei diesem Autor goldrichtig.

Foto: © ManfredK

Im selben Moment klatschte es auf seinen Schreibtisch, und empor fuhr er aus seinen Träumen. Was man nach ihm durch das offene Fenster geworfen hatte und was nun zerbröselt vor ihm lag, war eine vielfach missachtete Kleinigkeit, durch die sich die treuen Helfer der Menschheit, die wackeren Pferde, bei ihrem allerdings geringen Ordnungssinn den kommunalen Straßenreinigungsbeamten so oft unbeliebt machen.
Der Gaulschreck im Rosennetz (Fritz von Herzmanovsky-Orlando 1877-1954)

Um solche Worte für das Empfinden von Glück zu finden, das bedarf schon einer gehörigen Menge geistiger und seelischer Schönheit.

Götter, er hätte tanzen mögen vor Seligkeit. Und der Himmel lief über ihn dahin wie eine große blaue Straße, das Licht reiste nach Westen wie ein feuriger Wagen, und alle die glühenden Häuser schienen sein glühendes Feuer widerzustrahlen.
Er hatte das Gefühl eines starken brausenden Lebens, als hätte er noch nie so gelebt, als schwämme er wie ein Vogel hoch in der Luft, versunken in ewigem Äther, grenzenlos frei, grenzenlos glücklich, grenzenlos einsam.
Und das unsichtbare Diadem der Glückseligkeit lag auf seiner eckigen Kinderstirn und verschönte sie, wie eine nächtliche Landschaft unter dem weiten Aufbrechen eines Blitzes.

Ein Nachmittag. Beitrag zur Geschichte eines kleinen Jungen (Georg Heym 1887-1912)

Foto: © gutenberg.spiegel.de

Bei diesen Worten Musils wird man unfreiwillig an einzelne Begebenheiten des Tagesgeschehens unserer Welt erinnert.

Foto: © viadellebelledonnefiles.wordpress.com

Denn wenn die Dummheit nicht von Innen dem Talent zum Verwechseln ähnlich sehe, wenn sie Außen nicht als Fortschritt, Genie, Hoffnung, Verbesserung erscheinen könnte, würde wohl niemand dumm sein wollen, und es würde keine Dummheit geben. Zumindest wäre es sehr leicht sie zu bekämpfen. Aber sie hat leider etwas ungemein Gewinnendes und Natürliches. Wenn man zum Beispiel findet, dass ein Öldruck eine kunstvollere Leistung sei als ein handgemaltes Ölbild, so steckt eben auch eine Wahrheit darin, und sie ist sicherer zu beweisen als die, dass van Gogh ein großer Künstler war. Ebenso ist es sehr leicht und lohnend, als Dramatiker kräftiger als Shakespeare oder als Erzähler ausgeglichener als Goethe zu sein, und ein rechter Gemeinplatz hat immerdar mehr Menschlichkeit in sich als eine neue Entdeckung. Es gibt schlechterdings keinen bedeutenden Gedanken den die Dummheit nicht anzuwenden verstünde, sie ist allseitig beweglich und kann alle Kleider der Wahrheit anziehen. Die Wahrheit dagegen hat jeweils nur ein Kleid und einen Weg und ist immer im Nachteil.

Geistiger Umsturz: Eine geheimnisvolle Zeitkrankheit (Robert Musil 1880-1942)

Polgar verstand es, gesellschaftliche Nebensächlichkeiten durch meisterhaft gedrechselte Sätze auf einen literarischen Sockel zu stellen und dem Leser auch noch ein leichtes Schmunzeln zu entlocken.

Foto: © User: Mattes

Also richtete ich gegen die Unbekannte ein volles Auge, die Mattscheibe der Absichtslosigkeit vorgehängt. Ich stellte dann den Blick auf: gebannt, mischte etwas Zärtlichkeitsessenz hinein, setze einen Hauch von Ehrerbietung zu und ein Atom: „Ach, dass nicht sein kann, was doch vielleicht so schön wäre“. Sie, versonnene Gleichgültigkeit in den Mienen, regte sich nicht unter der Bestrahlung. Mein Blick traf den Ihren nur in einem sehr flachen Winkel, drang nicht durch, sondern glitt tangential ab.
Offenbar hatte die Bemerkenswerte mich gar nicht bemerkt.
Im Theater, während des Zwischenaktes, sah ich sie wieder, versonnene Gleichgültigkeit in den Mienen, zur Seite eines Herrn, parlando auf und ab. Annäherung schien unmöglich. Das erleichterte meine innere Situation, denn ich kam nicht in die Lage, keinen Mut zu haben. Und dann sah ich sie nicht mehr, nie mehr. Sie entschwand uns, wurde Erinnerung, und bald nur mehr Erinnerung an eine Erinnerung. Sie floss ein in das Meer des ungelebten Lebens, dessen Rauschen himmlische Musik ist dem Jüngling, höllische dem Alternden.
Begegnung ( Alfred Polgar 1873-1955)

Jedem der gerne liest, wird irgendwann erschreckend klar, wie viele Bücher irgendwann ungelesen zurückbleiben werden. Also sollte man in seiner Wahl schon sehr selektiv sein, meint,
Euer Kultur Jack!

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !