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B(ruchstücke XV – Reif für die Insel

B(ruchstücke XV – Reif für die Insel

Liebe Leute, wir unternehmen heute einen literarischen Streifzug durch Großbritannien. Die Insel hat so viele Schwergewichte der Feder hervorgebracht, dass wir diese Eiland, für den heutigen Beitrag unseres Kulturblogs, nicht verlassen müssen. Den Titel „Grande Dame“ der englischen Literatur des 20. Jahrhunderts muss man neidlos Virginia Woolf zugestehen. Wie sie, bis ins Letzte durchdacht und feinfühlig über Lichteffekte  auf Pflanzen und Blumen schreiben konnte, zeigt die erstaunliche Kunst ihrer Feder.

IM BOTANISCHEN GARTEN
Aus dem ovalen Blumenbeet ragten an die hundert Stiele, die auf halber Höhe herz- oder zungenförmige Blätter ausbreiteten und an der Spitze rote oder blaue oder gelbe Blütenblätter mit erhabenen Farbflecken darauf entfalteten; und aus dem roten, blauen oder gelben Dämmer eines jeden Kelches sah ein kerzengerader Stab hervor, rau von goldgelbem Staub und an seinem Ende ein wenig keulenförmig. Die Blütenblätter waren groß genug, um von dem sommerlichen Lüftchen bewegt zu werden, und sobald sie sich regten, glitten die roten, blauen und gelben Lichter übereinander und bemalten das Plätzchen brauner Erde darunter mit einem Fleck von ungemein komplizierter Färbung. Das Licht fiel da auf den glatten, grauen Rücken eines Kiesels und dort auf ein kleines Schneckengehäuse mit seinen braunen, rundumlaufenden Adern oder schwellte, wenn es in einen Regentropfen fiel, die dünne Wandung aus Wasser mit einem so heftigen Rot oder Blau oder Gelb, dass man erwartete, es werde sogleich platzen und verschwunden sein. Statt dessen war der Tropfen eine Sekunde später wieder silbergrau., und das Licht verharrte nun auf dem Fleisch eines Blatts und ließ die verästelte Rippe unter der Oberfläche sichtbar werden, und wieder wanderte es weiter und verbreitete seine Helligkeit in den weiten grünen Räumen unter der Kuppel der herz- und zungenförmigen Blätter. Dann strich das Lüftchen ein wenig kräftiger über das Beet, und alle die Farben wurden in die Luft hinaufgeblinkt, in die Augen der Männer und Frauen, die an einem Julitag im Botanischen Garten von Kew spazieren gehen.

Die Dame im Spiegel (Virginia Woolf 1882-1941)

   

Foto: © Fillipo Venturi Photography Blog

                                                              

In Thomas Hardys Werk trotzt oft der Einzelne schicksalhaften Fügungen oder selbstverschuldeten Lebenssituationen. Dass Hardys Romane auch Skandale hervorriefen, kann der heutige Leser, durch den gesellschaftlichen Wandel, nur mehr schwer nachvollziehen. Den Autor berührte, das dadurch entstandene Aufsehen so stark, dass er ab 1895 nur mehr Gedichte schrieb.

Heranwachsen brachte Verantwortung mit sich, fand er. Die Erlebnisse reimten sich nicht so glatt, wie er gedacht hatte. Für die Logik der Natur hatte er nichts übrig, dazu war sie zu fürchterlich. Dass die Barmherzigkeit gegen die einen Geschöpfe, Grausamkeit gegen andere war, kränkte sein Gefühl für Harmonie. Wenn man älter wurde und merkte, dass man mittendrin in seiner Zeit stand, nicht irgendwo weit draußen am Rande, wie man gedacht hatte, als man klein war, dann überkam einen eine Art Schauder. Rings um einen her schien etwas Grelles, Funkelndes, Rasselndes zu sein, und der Lärm und das blendende Licht hieben auf das winzige Zellchen ein, das man sein eigenes Leben nannte, und erschütterten und verkrüppelten es.
                                                       Herzen in Aufruhr (Thomas Hardy 1840-1928)

Foto: © National Portrait Gallery

 

Von den 3 Bronté-Schwester erreichte keine das 40. Lebensjahr und sie schrieben bis zuletzt unter männlichen Pseudonymen. Durch die Landschaft Yorkshires, wo sie auch lebten, wurden ihre Romane wildromantisch verklärt.

Stellen sie sich ein kleines Tal vor, das sich tief in die Waldeinsamkeit hinabsenkt. Es liegt in Düsternis und Nebel, sein Gras ist versumpft, die Kräuter sind blass und feucht . Ein Sturm oder die Axt schlägt eine breite Lücke zwischen die Eichbäume. Der Wind fegt hinein, die Sonne schaut hinab, das traurige kalte Tal wird ein tiefer, schimmernder Blumenkelch. Der Mittsommer schüttet seinen blauen Glanz und sein goldenes Leben von jenem schönen Himmel herab, den die dumpfe Grube bis jetzt nie erblickt hat. 

Ich gewann einen neuen Glauben – den ans Glück.

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Glück ist ein ferner Schimmer, der vom Himmel auf uns herabstrahlt. Ein göttlicher Tau ist es, den die Seele manchmal an einem ihrer Sommermorgen von den tiefroten Blüten und den goldenen Früchten des Paradieses auf sich herabträufeln fühlt.
                                                                               Villette (Charlotte Bronté (1816-1855)

Foto: © Someonedbyfells

 

2015 wählten 82 nichtbritische Literaturkritiker und – wissenschaftler die 100 wichtigsten britischen Romane. Herausragend, mit je 4 Romanen waren Virginia Woolf, Jane Austen und Charles Dickens. Da Dickens vom ganzen Volk gelesen wurde, erlangte er unglaubliche Berühmt – und Beliebtheit. Trotz größter sprachlicher Gewandtheit konnte er von jedermann gelesen werden und auch sein Humor traf die Herzen der Leser, so wie in der köstlichen Beschreibung der Schule Dr. Blimbers.

Tatsächlich war Dr. Blimbers Institut ein großes Treibhaus, in dem unablässig gewaltsam treibende Kräfte arbeiteten. Alle Zöglinge blühten vor ihrer Zeit. Zu Weihnachten wurden gewissermaßen geistige grüne Erbsen produziert und das ganze Jahr hindurch intellektueller Spargel. Mathematische Stachelbeeren, allerdings ungemein saure, waren zu allen unpassenden Jahreszeiten vorhanden, obwohl sie Dr. Blimber aus bloßen Stecklingen zog. Jede Sorte griechischen und lateinischen Gemüses erntete er selbst beim frostigsten Klima von den kümmerlichsten Knaben. Die Natur spielte überhaupt keine Rolle. Gleichviel, wozu so ein junges Herrlein veranlagt war – Dr. Blimber zwang es so oder so in die vorgeschriebene Schablone.
Dies war nun alles ganz hübsch und erfinderisch, aber das Treibhaussystem hatte auch seine gewöhnlichen Nachteile. All diese zu frühreifen Produkte schmeckten nicht kräftig und hielten sich nicht gut. Und was schlimmer war, ein junger Herr mit geschwollener Nase und ungewöhnlich großem Kopf, der Älteste der zehn, der alles durchgestanden hatte, hörte eines Tages plötzlich auf zu blühen und blieb als dürrer Stengel im Institut, und die Leute sagten, der Doktor habe es mit dem jungen Toots zu weit getrieben und sein Hirn habe aufgehört zu arbeiten, als sein Bart zu wachsen begann.
                                                             Dombey und Sohn (Charles Dickens 1812-1870)

Foto: © Public Domain,view terms

 

Um das britische Eiland auch weiter nach Norden zu erforschen, beschließen wir unsere Inselreise bei dem schottischen Nationaldichter Walter Scott. „Waverley“ ist nicht nur ein wunderbarer, leicht zu lesender Roman, auch der geschichtliche Inhalt der Erzählung weckt größeres Interesse am schottischen Volk.

Am Anfang seines Romans „La Picara Justina Diez“, der nebenbei gesagt eines der köstlichsten Werke der spanischen Literatur ist, beklagt sich der geistreiche Schreiber Francisco de Ubeda, dass seine Feder ein Haar erfasst hat, und mit mehr Beredsamkeit als Verstand, erteilt er dem nützlichen Werkzeug sogleich einen leidenschaftlichen Verweis, er wirft dem Federkiel vor, dass er von einer Gans stammt, einem unstet veranlagten Vogel, der die drei Elemente Wasser, Erde und Luft gleichermaßen aufsucht und natürlich bei keiner Sache beständig bleibt. Nun erkläre ich dem geneigten Leser, dass ich in diesem Punkte ganz anderer Ansicht bin als Francisco de Ubeda und die nützlichste Eigenschaft meiner Feder darin erblicke, dass sie unverzüglich vom Ernst zum Frohsinn, von der Beschreibung und dem Gespräch zur Erzählung und Charakterschilderung übergehen kann. Wenn also mein Federkiel keine anderen Eigenschaften von seiner Mutter, der Gans, geerbt hat als ihre Wendigkeit, so will ich wahrhaftig sehr zufrieden sein; und ich nehme an, dass du, mein edler Freund, keinen Anlass zur Klage haben wirst. Also gehe ich vom Kauderwelsch der Leute im Hochland zur Schilderung ihres Häuptlings über.
                                                                  Waverley (Sir Walter Scott 1771-1832)

Foto: © The Bridgeman Art Library Object 68272

 

Die Briten glorifizieren ihre Fußballspieler und das ist nicht weiter verwunderlich, da dieser Kult weltweit alltäglich betrieben wird. Dass sie jedoch auch ihre Literaten als einen ihrer besonderen Kulturschätze zu würdigen wissen freut,
Euren Kultur Jack!

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !