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Der sinnreiche Junker Don Quijote von la Mancha

Der sinnreiche Junker Don Quijote von la Mancha

Obwohl mein literarisches Herz für die Weltliteratur schlägt, hat es mich nie gedrängt den „Don Quijote zu lesen. Jetzt tat ich es und es hat mich derart beeindruckt, dass ich zum ersten Mal einen Beitrag unseres Blogs ausschließlich einem Buch widme.

Artist: Gustave Dore, Foto: © wikimedia commons

„Wer zweifelt, dass in kommenden Zeiten, wann die wahrhafte Geschichte meiner ruhmvollen Taten dereinst ans Licht tritt, der weise Zauberer, der sie verfassen wird, wenn er an die Erzählung gelangt dieser meiner ersten Ausfahrt so frühmorgens, folgendermaßen hinschreibt: Kaum harte der rotwangige Apollo über das Antlitz der großen weithin gedehnten Erde die goldenen Fäden seiner schönen Haupthaare ausgebreitet und kaum hatten die kleinen buntfarbigen Vögelein mit ihren spitzigen Zungen und mit sanfter honigsüßer Harmonie das Kommen der rosigen Aurora begrüßt, welche, das weiche Lager des eifersüchtigen Gemahls verlassend, sich aus den Pforten und Erkern des Manchaner Horizontes hervor den Sterblichen zeigte, als der berühmte Ritter Don Quichote von der Mancha, die müßigen Daunen verlassend, auf seinen berühmten Hengst Rosinante stieg und des Weges zu ziehen begann über das alte weitbekannte Gefilde von Montiel.“

Der Ritter:
Don Quijote ist, nach damaligen und heutigen Maßstäben, eindeutig verrückt, jedoch würde dieser Geisteszustand alleine nicht ausreichen, um ihn zu einer der bekanntesten Figuren der Literaturgeschichte zu machen. Die charakterlichen Attribute, die Cervantes seinem Helden verpasste, machen ihn zum wahren Helden seiner Geschichte. Wesenszüge, die unveränderlich alle Auftritte des Ritters von der traurigen Gestalt prägen, formen seine wahre heroische Persönlichkeit: Unbeirrbarkeit, Unbestechlichkeit, Mut, Ehrlichkeit, seelische Einsamkeit, seine äußerst gewählte Form der Sprache und seine unerschütterliche Liebe zu Dulcinea von Toboso.

Artist: Luis Tasso, Foto: © 1032106

Hier stieß Don Quichote einen tiefen Seufzer aus und sprach: „ Ich kann nicht versichern, ob die süße Feindin mein es gern sieht oder nicht, dass die Welt wisse, dass ich ihr huldige; ich kann nur sagen als Antwort auf ein so höfliches Ersuchen, dass ihr Name Dulcinea ist; ihre Heimat Toboso, ein Ort in der Mancha; ihrem Stande nach muss sie mindestens eine Prinzessin sein, da sie meine Königin und Gebieterin ist; ihre Schönheit überirdisch, da in ihr zur Wahrheit werden all die unmöglichen und nur von kühner Phantasie erträumten Reize, womit die Dichter ihren Geliebten begabt haben. Ihre Haare sind Gold, ihre Stirn ein Paradiesgarten, ihre Brauen gewölbte Regenbogen, ihre Wangen Rosen, ihre Lippen Korallen, Perlen ihre Zähne, Alabaster ihr Hals, Marmor ihre Brust, Elfenbein ihre Hände, ihre Weiße ist Schnee, und die Teile, welche die Ehrbarkeit dem menschlichen Anblick verdeckt, sind der Art, dass, wie ich denke und urteile, nur eine feinsinnige Beobachtung sie zu preisen, doch nicht mit anderen zu vergleichen imstande ist.“
Obwohl für jedermann ersichtlich, dass Don Quijotes Welt nur für ihn selbst nachvollziehbar und verständlich ist, lassen seine selbstbewussten Auftritte, seine ungemein höflichen Umgangsformen, sein absoluter Idealismus und die Ideen seiner Weltsicht sogar Herzöge, Geistliche und Gelehrte innehalten, und seinen Betrachtungen Tribut zollen. Cervantes versteht es auch meisterhaft, in subtiler Weise die anfängliche Zweckgemeinschaft Quichotes zu Sancho in eine tiefe Freundschaft und gegenseitige Herzensbindung zu wandeln.

Artist: Honoré Daumier, Foto: © VQHenx7bk7EeAw at Google Arts&Culture

„Unendlichen Dank sage ich dem Himmel, Freund Sancho, dass, ehe und bevor ich auf meinen Wegen irgendein glückliches Los gefunden, dir das glückliche Los entgegengekommen ist, um dich zu grüßen und aufzusuchen. Ich, der ich zu Zeiten meines Wohlergehens dir den Lohn deiner Dienste angewiesen hatte, sehe ich erst in den Anfängen meines Emporkommens, du aber siehst vor der Zeit und gegen das Gesetz der Vernunft deine Wünsche mit Erfüllung gekrönt. Andre bestechen, überlaufen die Leute, bewerben sich, stehen früh auf, bitten, drängen beharrlich und erreichen nicht, wonach sie streben; und da kommt eine anderer, und ohne zu wissen, wann und wie, hat er unversehens Stelle und Amt, wonach so viel andre getrachtet. Hier passt es wohl, wenn man sagt: Nur Glück oder Unglück entscheiden bei Bewerbungen. Du, der du meiner Meinung nach ein Schafskopf bist, der weder früh aufsteht noch die Nächte durchwacht noch irgend Fleiß und Mühe an irgendetwas wendet – bloß, weil dich der Hauch des fahrenden Rittertums berührt hat, wachst du eines Morgens auf als der Statthalter einer Insul, gerade als ob das nur ein Pfifferling wäre. Dies alles sag ich dir, mein Sancho, auf das du die empfangene Gnade nicht deinen Verdiensten zuschreibest, sondern dem Himmel Dank sagest, der alles so milde fügt, und Dank auch sagest dem hohen Range, den der Beruf des fahrenden Rittertums einnimmt. Wenn du sonach dein Gemüt geneigt hast, meinen Worten gläubig zu horchen, so sei, o mein Sohn, achtsam auf mich, deinen Cato, der dich beraten und dir Polarstern und Führer sein will, um dich zu leiten und herauszuführen zu sicherem Hafen aus diesem stürmischen Meere, in dessen Weite jetzt dein Schifflein hinaussegeln will; denn Ämter und hohe Stellen sind nichts anderes als ein tiefes Meer der Wirrsale.

Der Schildknappe:
Sancho Pansa ist, nach damaligen und heutigen Maßstäben, eindeutig naiv und einfältig, jedoch nur auf den ersten Blick. Denn schon nach den ersten Abenteuern, welche meistens schmerzhaft für die Gefährten enden, erwacht eine Bauernschläue in ihm, mit der er sich und seinen Herren, vor desaströsen Erlebnissen zu schützten versucht. Aber auch in seiner kurzen Karriere als Statthalter seiner „Insul“ lassen seine simplen, jedoch wirksamen und gerechten Urteile die Mitwirkenden, sowie den Leser, den unwissenden Landjunker in anderem Licht erscheinen.

Artist: Grandville, Foto: © wikimedia.commons

„Das verstehe ich nicht“, versetzte Sancho; „ich verstehe nur, dass ich, solange ich schlafe, weder Furcht noch Hoffnung, weder Mühseligkeit noch Wonnen habe. Heil dem, der den Schlaf erfunden hat, diesen Mantel, der alle menschlichen Gedanken deckt, dies Gericht, das den Hunger vertreibt, dies Wasser, das den Durst in die Flucht schlägt, dies Feuer, das die Kälte erwärmt, diese Kälte, die die Hitze mäßigt, kurz die allgemeine Münze, für welche man alles kaufen kann, Waage und Gewicht, womit der Hirte und der König, der Einfältige und der gescheite Kopf gleich abgewogen und gleich schwer befunden werden. Nur eins hat der Schlaf, was vom Übel ist, wie ich habe sagen hören, nämlich dass er dem Tode ähnlich sieht, weil zwischen einem Schlafenden und einem Gestorbenen sehr wenig Unterschied ist.“
Sancho Pansas wahre Größe liegt aber eindeutig in der Loyalität und Liebe zu seinem Herrn. Auch wenn der wirtschaftliche Erfolg ihrer Abenteuer eine treibende Kraft für den Knappen darstellt, lässt er seinen Meister, trotz negativer Aussichten, nie im Stich. Trotz schwanendem Unheil, und ersten Versuchen es abzuwenden, stellt er letztendlich das Wohl der Gemeinschaft über sein eigenes. Das macht ihn zum zweiten Heroen dieser Geschichte.

Artist: Ossa de Montiel, Foto: © M.Peinado

„O, Sancho“, versetzte Don Quijote, „auch dann wird doch deines Stillschweigens nie so viel werden, als was du geschwatzt hast, schwätzest und in deinem Leben noch schwätzen wirst, zumal es durchaus in der natürlichen Ordnung der Dinge liegt, dass der Tag meines Todes eher kommt als der des deinigen. Und sonach glaube ich, nimmer werde ich dich stumm sehen, nicht einmal, wenn du beim Trinken oder beim Schlafen bist – und das sagt alles.“
„Wahrlich, Senor“, gab Sancho darauf zur Antwort, „dem dürren Gerippe, ich meine den Tod, ist nicht zu trauen; er frisst das Lamm wie den Hammel, und ich habe unseren Pfarrer sagen hören, er tritt mit dem gleichen Fuß in die hohen Burgen der Könige wie in die niederen Hütten der Armen. Dieser große Herr ist weit gewalttätiger als wählerisch; vor nichts ekelt es ihm, von allem frisst er, und alles ist ihm recht, und mit Leuten von jeglicher Art, jeglichem Lebensalter, jedem Rang und Stand füllt er seinen Zwerchsack. Er ist kein Schnitter, der sein Mittagsschläfchen hält; zu jeder Stunde mäht und schneidet er, dürres wie frisches Kraut, und er verschlingt und schluckt alles ungekaut hinunter, was ihm vorgesetzt wird, denn er hat einen Wolfshunger, der nie zu sättigen ist; und obschon er keinen Wanst hat, so ist´s doch, als hätte er die Wassersucht und als dürste es ihn nach dem Leben aller Lebenden, wie einer einen Krug frisches Wasser hinuntertrinkt.“

Der Autor:
Miguel Cervantes (1547-1616) ist, nach damaligen und heutigen Maßstäben, eindeutig kein langweiliger Charakter. Stellt man sich den Dichter als weltabgewandten, im Elfenbeinturm der Kunst sitzenden, Intellektuellen vor, liegt man mehr als falsch. Er war Kammerdiener eines Kardinals und nahm aktiv an der Schlacht von Lepanto (1571) teil, die er mit zwei Kugeln in der Brust und eine im Arm überlebte. 1580 wurde er von Korsaren als Sklave nach Algier verschleppt und konnte erst nach fünf Jahren und vier Fluchtversuchen freigekauft werden. Cervantes nahm an weiteren Kriegszügen teil, verschuldete sich hoch, vergriff sich an Kircheneigentum und wurde von der Inquisition exkommuniziert. Weiters veruntreute er Staatsgelder, saß deswegen drei Monate in Untersuchungshaft, und begann dort er seinen „Don Quijote“ zu schreiben. Dieses Werk brachte ihm Erfolg und Geld, das er aber wieder verlor, und  1616 verarmt in Madrid starb.

Miguel de Cervantes, Foto: © The Bridgeman Art Library, Object: 119216

In Wahrheit und Wirklichkeit muss ein jeglicher, der an solcherlei Geschichten wie dieser Gefallen findet, dem Sidi Hamét, ihrem ursprünglichen Verfasser, dankbar sein ob der Sorgsamkeit, mit der er selbst die kleinsten Sechzehntelnoten von ihrer Melodie uns hören lässt und auch am Geringfügigsten nicht vorbeigeht, ohne es klar ans Licht zu ziehen. Er zeigt uns die Gedanken, zieht den Vorhang von den Gebilden der Phantasie, antwortet auf die stillen Einwürfe des Lesers, hellt die Zweifel auf, entscheidet im Streit der Meinungen und Behauptungen und lässt selbst den wissbegierigsten Menschen die Atome des Gewünschten deutlich erschauen. O berühmter Schriftsteller! O beglückter Don Quijote! O ruhmreiche Dulcinea! O Sancho du witziger Kopf! Ihr alle miteinander, und jeder für sich, möchtet ihr unzählige Jahrhunderte leben zum Vergnügen und Zeitvertreib aller Lebenden!
Liebe Leute, wenn sich Cervantes mit diesem Buch als Meister brillanter Wortgeflechte erweist, ist er es darin nicht weniger in seiner Menschlichkeit, und seinem Talent den Leser oftmals ein Lachen zu entlocken. Das macht ihn zum dritten Heroen der Geschichte!
Euer Kultur Jack!

Beitragsbild: Painter: Wilhelm Marstrand (1810-1873) nivaagaard.dk

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !