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Seraphine de Senlis und Wilhelm Uhde

Seraphine de Senlis und Wilhelm Uhde

Den Beruf des Malers zu ergreifen, verspricht kein sorgenfreies Leben – viel Konkurrenz und wenige Kunden, die sich den Aufwand eines Gemäldes leisten können. Noch schwieriger wird es, wenn der Künstler unbetretene Wege einschlägt. So wurde schon den Impressionisten Unvermögen und Scharlatanerie nachgesagt, weil diese Kunst den Augen der Betrachter zu ungewohnt war. Jedoch den steinigsten Weg gingen die Kunstschaffenden der „klassischen Moderne“, weil sie mit allen Sehgewohnheiten brachen und damit den durchschnittlichen Bürger meist vor den Kopf stießen.

 

Ein großer Glücksfall für die Entwicklung der Kunst waren jedoch die wenigen Liebhaber der Künste, die das Potenzial und die Schönheit der Arbeiten zur Zeit ihrer Entstehung erkannten, und nicht erst im späteren Rückblick. Einem dieser Visionäre, ist der erste Teil dieses Beitrags gewidmet:
Wilhelm Uhde (1874-1947) studierte Rechtswissenschaften in Dresden und anschließend Kunstgeschichte in München. Nach einem Umzug nach Paris begann er Bilder von Pablo Picasso und George Braque, die damals noch unbekannt waren, zu kaufen. Uhde wurde Kunsthändler und eröffnete am Montparnasse eine Galerie, in welcher er Ausstellungen der Impressionisten und Kubisten organisierte.

 

Im Jahre 1912 suchte Wilhelm einen Ort, abseits des hektischen Paris, an dem er in Ruhe arbeiten konnte. Seine Wahl fiel auf das 40 km entfernte Senlis, das nicht einmal eine Bahnverbindung besaß. Als er einen bürgerlichen Haushalt des mittelalterlichen Städtchens besuchte, sah er, auf einem Stuhl stehend, ein kleines Stillleben, welches ihn sofort faszinierte. Die Antwort auf die Frage nach der Urheberschaft des Bildes verwunderte ihn sehr, denn man sagte ihm, dass seine eigene Aufwartefrau und Haushälterin die Schöpferin sei und so wurde Uhde auf sie aufmerksam:

 

Séraphine Louis (1864-1942) war eine einfache Frau, die in Senlis in mehreren Haushalten als Hilfe arbeitete. Als tiefreligiöser Mensch erhielt sie, nach eigenen Angaben, über einen Engel, von der Gottesmutter Maria den Auftrag zu malen, welchen sie getreulich und mit Leidenschaft ausführte. Auf Grund ihrer ärmlichen Verhältnisse, stellte sie ihre Farben aus allen ihr zugänglichen natürlichen und chemischen Stoffen selbst her, und malte durchgehend nur florale Motive. Ihren Prozess des Malens begleitete sie mit frommen, religiösen Gesängen, wollte jedoch keine Beobachter dabei dulden.

 

Mit Ausbruch des 1. Weltkriegs musste Uhde, als Deutscher, Frankreich verlassen und seine Sammlung wurde vom Staat konfisziert, darunter auch Seraphines Bilder, die er damals gekauft hatte, und welche danach nie wieder auftauchten. Zehn Jahre später kehrte er nach Paris zurück und war als Kunsthändler sehr erfolgreich. Neben dem Kubismus beeindruckten Uhde Werke der „Naiven Malerei“, und er gilt als Entdecker von Henri Rousseau (1844-1910) und Louis Vivin (1861-1936).

 

1927 erneuerte Uhde, bei einer Ausstellung verschiedener Künstler im Rathaus von Senlis, die Bekanntschaft mit Séraphine. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits ausschließlich Malerin und hatte große Fortschritte gemacht. Der Deutsche versorgte die Französin mit großen Leinwänden und professionellen Farben, und kaufte alle fertigen Werke.

 

Es begann eine Zeit großer Produktivität, mit drei bis vier Bildern pro Monat, die auch mit finanziellem Erfolg verbunden war. Séraphine legte ihre Demut und Zurückhaltung ab und gab das Geld mit vollen Händen aus. Die mystischen Eigenheiten ihrer Arbeitsweise behielt sie bei, malte nur nachts, verbunden mit schrill und falsch gesungenen Chorälen, was sie aber zum Gespött der Einwohner machte.

 

Auf Grund der Weltwirtschaftskrise kam Uhde vorübergehend in finanzielle Schwierigkeiten und musste seine Käufe und Unterstützungen einstellen. Durch diesen Wandel, verbunden mit dem Gefühl der Lächerlichkeit ihrer Person in den Augen ihrer Umwelt, traten 1931 erste Anzeichen geistiger Verwirrtheit bei der Malerin auf.

 

Séraphines plötzlich gefühlte Bedeutungslosigkeit, gepaart mit Wahnvorstellungen über Weltruhm, Reichtum und haltlose Anschuldigungen, stürzten die Künstlerin in geistige Umnachtung. Sie beendete ihre Maltätigkeit, wurde ein Jahr später in das Krankenhaus von Senlis eingeliefert, und landete schlussendlich in der psychiatrischen Anstalt von Clerment-de l´Oise.

 

Dort blieb sie zehn Jahre, bis sie 1942 ein grausames Schicksal ereilte. Ärzte und Krankenschwestern wurden in den Krieg eingezogen, der Rest des Personals flüchtete vor der anrückenden Deutschen Wehrmacht, und die Insassen überließ man sich selbst. Als „unwertes Leben“ wurden die Patienten von der Besatzung äußerst mangelhaft versorgt, und ein großer Teil der Menschen der Einrichtung starb an Verwahrlosung oder Hunger – so wahrscheinlich auch Séraphine Louis.

 

Und Wilhelm Uhde? Anfangs konnte er Seraphine noch finanzielle Unterstützung in der Anstalt zukommen lassen, damit sie ein Einzelzimmer bekam, jedoch die Nationalsozialisten entzogen dem in Frankreich lebenden deutschen Kunsthändler die Staatsbürgerschaft. Beim Einmarsche der Deutschen in Paris musste Uhde aus der Stadt fliehen, seine Wohnung wurde von der Gestapo verwüstet sowie geplündert und Teile seiner neuen Sammlung gingen wieder verloren.

 

Er und seine Schwester überlebten den Krieg versteckt und kehrten 1944 nach Paris zurück. Dort organisierte Uhde, in den nächsten Jahren, noch zwei Ausstellungen, in denen auch Werke Seraphines vertreten waren. 1947 starb Wilhelm Uhde in Paris und wurde auf dem Friedhof Montparnasse bestattet.

 

Liebe Leute, den Cineasten unter unseren Lesern möchte ich noch den Film „Seraphine“ aus dem Jahr 2008 von Martin Provost empfehlen. Er schildert die Beziehung zwischen der Künstlerin und dem Mäzen, wunderbar dargestellt von Yolande Moreau und Ulrich Tukur.
Euer Kultur Jack!

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !