Von der Abstraktion zur Abstraktion – Hommage an Jackson Pollock
In der Malerei bezeichnet man Bilder mit gegenstandslosem Inhalt, als „Abstrakte Kunst“. Das Wort „abstrakt“ selbst, kommt vom lateinischen „abs-drahere“ und bedeutet abziehen, trennen, entfernen und der Duden definiert, auf Moderne Kunst bezogen, es als – nicht etwas sinnlich Wahrnehmbares, sondern den gedanklichen, abstrakten Gehalt von etwas darzustellen suchend…
In einem Satz bedeutet es, dass der Maler so lange gegenständliche und erkennbare Motive aus dem Bild abzieht oder entfernt, bis nur mehr die Quintessenz des Angestrebten überbleibt.
Allgemein besteht die Auffassung, dass diese Bild des russischen Malers Wassily Kandinsky, das erste gegenstandslose Werk der Kunstgeschichte ist.
Jedoch das stimmt nicht, denn erstens besteht der mögliche Verdacht, dass es 1913 auf 1910 vom Maler vordatiert wurde und nachweisbar hat die schwedische Künstlerin Hilma af Klingt diese Bilder bereits 1907 gemalt.
Dass die Abstraktion kein Zufall, sondern eine Entwicklung war, zeigt sich am Maler-Kollegen Kandinskys, in der Künstlergruppe „Blauer Reiter“, Franz Marc. Marcs späte Bilder stehen nur mehr eine Stufe vor der Gegenstandslosigkeit, und er hätte sie erreicht, hätte ihn nicht die Schlacht von Verdun gestoppt, von der er 1916 nicht mehr zurückkam.
Immense Bedeutung für die Abstraktion hat der niederländische Künstler Piet Mondrian, der über einige Jahre hinweg, in mehreren einzelnen Bildern, einen Baum abstrahierte.
Weltberühmt wurde Mondrian jedoch erst durch seine geometrischen Schöpfungen, die bis in die Populärkultur und das heutige Werbedesign Nachhall finden.
Großen Einfluss auf die gegenstandslose Kunst muss man der russischen Avantgarde, des ersten Viertels des 20. Jahrhundert, zuerkennen. Allen voran, Kasimir Malewitsch, der bereits vor 100 Jahren den Durchschnittsbürger mit solchen Bildfindungen vor den Kopf stieß.
Die künstlerische Errungenschaft, ein Bild ohne erkennbaren Gegenstand zu malen, war eigentlich ein Quantensprung für die bildenden Künste, denn der Schaffende hatte die größtmögliche Freiheit ein Bild aus Stimmung und Gefühl zu schaffen. Seltsamerweise machten nur Wenige von dieser Möglichkeit Gebrauch, denn die Abstraktion blieb nur einem kleinen Kreis von Malern und Kunstinteressierten eine intellektuelle Freizone. Möglicherweise war, in diesem Fall, die Zeit wirklich noch nicht reif für Derartiges, denn die Kunstströmungen der Zwischenkriegszeit waren wieder ungemein gegenständlich – und auch noch in altmeisterlicher Manier, wie die „Neue Sachlichkeit“ zeigt.
Das Erstarken der Nationalsozialisten und der anschließende jahrelange 2. Weltkrieg führte zu einem kulturellen Niedergang in Europa. Ein Teil der Künstler wurde in Deutschland und Österreich mit Berufsverbot belegt, andere als „entartet“ verfemt und etliche von ihnen emigrierten nach den USA. Der, in Europa, sinkende Stern der Kultur ging aber nur scheinbar unter, denn er erschien, wie auch in der Natur vorgesehen, auf der anderen Seite der Erdkugel. Der Sieg über Nazi-Deutschland und die emigrierten europäischen Künstler befruchteten die Arbeit ihrer amerikanischen Kollegen und das führte schlussendlich zur ersten eigenständigen Kunstströmung in der Malerei, die Amerika hervorbrachte: der Abstrakte Expressionismus. Und damit betritt einer der wichtigsten Protagonisten dieser Kunstform die Bühne: Jackson Pollock!
Bevor Pollock zu seiner endgültigen Handschrift fand, waren seine Arbeiten schon sehr gestisch und ungebändigt, jedoch noch immer dem Gegenständlichen verhaftet.
1943 gab Peggy Guggenheim dem Maler den Auftrag, ein Gemälde für die Eingangshalle ihres Hauses zu malen. Lange Zeit steht die 6 x 2,5 Meter große Leinwand in Pollocks Atelier und dann malt er plötzlich, in nur einer Nacht, das Bild „Mural“.
Es ist ein Wendepunkt in seiner Kunst, denn es zeigt zum ersten Mal die Energie, Dynamik und Bewegung, die der Künstler in seine Arbeit einbringt. Im Laufe der nächsten Jahre entwickelt Pollock seinen neuen Stil, den die Kunstwelt später „Action“- oder „Drip-Painting“ benennen wird.
Was die Entstehung eines Bildes betrifft, ließ Pollock keinen Stein auf dem anderen – er verwendete Segelleinwand als Bildträger und arbeitete mit Industriefarben. Die Leinwand legte er auf dem Boden aus, und tropfte, während er um das Bild herumging, die Farbe mithilfe des Pinsels oder auch mit einer durchlöcherten Blechdose darauf. Auf das Bild fallende Zigarettenasche des Rauchers oder ein versehentlicher Tritt auf die Leinwand blieben Teile des Schaffensprozesses. In manche Bilder streute er kleine Gegenstände, wie Nägel oder Schrauben. Titel für die Bilder ließ er meistens entfallen, sondern nummerierte sie nurmehr. In diesem 10-minütigen Video von Hans Namuth aus dem Jahr 1951, kann man den Arbeitsprozess des Malers gut mitverfolgen.
Pollocks Bruch mit allen Maltraditionen und dessen Folgen, kann man nur mit der kunstgeschichtlichen Bedeutung von Picassos, 50 Jahre früherem, „Kubismus“ vergleichen. Beide Künstler nahmen sich jede Freiheit, die zur Erreichung ihrer künstlerischen Ziele von Nöten war – und die Kunstwelt und Kritiker lagen ihnen bald zu Füßen.
Peggy Guggenheim brachte Jackson und seine Bilder zur Biennale nach Venedig, und der Siegeszug durch Europa begann. Der „Abstrakte Expressionismus“, dessen Name auf einen Kunstkritiker zurückgeht, war die erste amerikanische Kunstströmung der Malerei, der Europa Anerkennung und allgemeine Beachtung zollte.
Diese 2. Welle der Abstraktion wäre nicht aufzuhalten gewesen, denn in dieser Zeit entstanden auch die Bilder anderer Künstler, die heute zu den Hauptvertretern dieser Richtung zählen. Energiegeladene Maler und deren wunderbaren Werke bereicherten die Kunstgeschichte, wie etwa Willem de Kooning oder Clyfford Still.
Aber auch die Beiträge von Franz Kline und Robert Motherwell zur neuen Kunstrichtung sicherten ihnen bis heute Ausstellungsflächen in allen großen Museen.
Eine subtilere Ausprägung des „Abstrakten Expressionismus“ entwickelten Künstler wie Mark Rothko oder Barnett Newman mit ihrer meditativen Farbfeldmalerei.
Die 2. Welle der Abstraktion, liebe Leute, entwickelte sich rasant zu einem Tsunami, der den ganzen Erdball durchlief, und bis heute ist kein Ende dieser Tendenz abzusehen.
Erwähnenswert sind, auf jeden Fall, noch zwei weltberühmte Künstler, die in ihrem Spätwerk der Abstraktion sehr nahe kamen, von ihr jedoch noch nichts wussten
Liebe Leute, abstrakte Malerei ist mehr von der Emotion und der Dynamik als vom Intellekt getrieben. Sie war Vorreiter für etliche andere Kunsttendenzen (Tachismus, Informell, Minimalismus…) und hat sicher auch, bis heute, genug Gegner.
Für mich sind kraftvolle Abstraktionen emotionale Schöpfungen, die nie langweilig werden, weil man immer wieder Neues darin entdeckt. Als die geschockte Kunstkritik Jackson Pollock fragte, warum er diese Art Bilder malt, war seine Antwort:“ Man kann im Zeitalter der Atombombe kein Barockengel malen.“
Da muss ich ihm recht geben!
Euer Kultur Jack!
Copyright Eingangsbild: Autumn Rhythm (Number 30), Matthew Mendoza