Seite auswählen

B(r)uchstücke der Literatur LX – Deutschland schreibt

B(r)uchstücke der Literatur LX – Deutschland schreibt

Der Tod als fixer Bestandteil des Lebens.

Thomas Mann, Foto: © Picryl

„ Gestatten Sie, Ingenieur, Ihnen zu sagen und Ihnen ans Herz zu legen, dass die einzig gesunde und edle, übrigens auch – ich will das ausdrücklich hinzufügen – auch die einzig religiöse Art, den Tod zu betrachten, die ist, ihn als Bestandteil und Zubehör, als heilige Bedingung des Lebens zu begreifen und zu empfinden, nicht aber – was das Gegenteil von gesund, edel, vernünftig und religiös wäre – ihn geistig irgendwie davon zu scheiden, ihn in Gegensatz dazu zu bringen und ihn etwa gar widerwärtiger Weise dagegen auszuspielen. Die Alten schmückten ihre Sarkophage mit Sinnbildern des Lebens und der Zeugung, sogar mit obszönen Symbolen – das heilige war der antiken Religiosität ja sehr häufig eins mit dem Obszönen. Die Menschen wussten den Tod zu ehren. Der Tod ist ehrwürdig als Wiege des Lebens, als Mutterschoß der Erneuerung. Vom Leben getrennt gesehen, wird er zum Gespenst, zur Fratze – und zu etwas noch Schlimmeren. Denn der Tod als selbständige geistige Macht ist eine höchst liederliche Macht, deren lasterhafte Anziehungskraft zweifellos die gräulichste Verirrung des Menschengeistes bedeutet.“
Der Zauberberg, Thomas Mann (1875-1955)

Der Missbrauch einer Lebensweise oder Idee.

Erich Fromm, Foto: © Rainer Funk

„Viele Völker hatten Propheten: Buddha verwirklichte seine Lehre, in Christus ist sie Fleisch geworden. Sokrates starb für seine Ideen und auch Spinoza hat sie gelebt. Sie alle haben einen so tiefen Einfluss auf die Menschheit gehabt, weil sie selbst ihre Ideen verkörperten. Propheten gibt es nur zu bestimmten Zeiten in der Geschichte der Menschheit. Sie sterben und hinterlassen ihre Botschaft. Diese wird von Millionen von Menschen angenommen, denen sie sehr wichtig wird. Dies ist der Grund, warum andere sie ausbeuten. Sie nutzen die Bindung der Menschen an diese Ideen für ihre eigenen Zwecke aus, indem sie diese Menschen beherrschen und unter ihre Kontrolle bekommen. Jene aber, die die Ideen der Propheten in dieser Weise ausnützen, sind die Priester.
Die Propheten leben ihre Ideen. Die Priester verwalten sie für diejenigen, die sich mit diesen Ideen identifizieren. Dabei verlieren die Ideen ihre Lebendigkeit und werden zu Formeln. Den Priestern ist die Formel wichtig – dies ist immer so, wenn das Erlebnis selbst tot ist. Nur wenn es eine „korrekte“ Formulierung gibt, lassen sich die Menschen beherrschen und ihre Gedanken kontrollieren. Für die Priester dient die Idee dazu, die Menschen zu organisieren und dadurch zu beherrschen, dass sie die richtige Formulierung der Idee kontrollieren. Wenn sie dann die Menschen tief genug betäubt haben, erklären sie, der Mensch sei unfähig ganz wach zu sein und sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Darum erfüllen sie – die Priester – aus Mitgefühl oder Mitleid die Aufgabe, den Menschen zu leiten. Dieser hätte, sich selbst überlassen, zu sehr Angst vor der Freiheit. Freilich verhalten sich nicht alle Priester so, doch gilt es für die meisten, vor allem, wenn sie über Macht verfügen.
Priester gibt es nicht nur in der Religion. Es gibt auch Priester in der Philosophie und in der Politik.“
Über den Ungehorsam, Erich Fromm (1900-1980)

Eloquenz und Humor der Spätromantik.

Heinrich Heine, Foto: © The Bridgeman Art Library

„Dieser Herr war ganz grün gekleidet, trug sogar eine grüne Brille, die auf seine rote Kupfernase einen Schein wie Grünspan warf, und sah aus, wie der König Nebukadnezar in seinen späteren Jahren ausgesehen hat, als er, der Sage nach, gleich einem Tiere des Waldes, nichts als Salat aß. Der Grüne wünschte, dass ich ihm ein Hotel in Göttingen empfehlen möchte, und ich riet ihm, dort von dem ersten besten Studenten das Hotel de Brühbach zu erfragen. Die eine Dame war die Frau Gemahlin, eine gar große, weitläufige Dame, ein rotes Quadratmeilengesicht mit Grübchen in den Wagen, die wie Spucknäpfe für Liebesgötter aussahen. Ein langfleischig herabhängendes Unterkinn, das eine schlechte Fortsetzung des Gesichtes zu sein schien, und ein hochaufgestapelter Busen, der mit steifen Spitzen und vielzackig festtonnierten Krägen wie Türmchen und Bastionen umbaut war und einer Festung glich, die gewiss ebenso wenig wie jene anderen Festungen, von denen Philipp von Macedonien spricht, einem mit Gold beladenen Esel widerstehen würde. Die andere Dame, die Frau Schwester, bildete ganz den Gegensatz der eben beschriebenen. Stammte jene von Pharaos fetten Kühen, so stammte diese von den mageren. Das Gesicht nur ein Mund zwischen zwei Ohren, die Brust trostlos öde, wie die Lüneburger Heide; die ganze ausgekochte Gestalt glich einem Freitisch für arme Theologen.“
Die Harzreise, Heinrich Heine (1797-1856)

Wenn Poesie die Seele berührt.

Ernst Wichert, Foto: © Weltrundschau zu Reclams Universum 1902

„Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar…

Dieser Verse muss ich wohl zuerst gedenken, wenn ich von den treuen Begleitern sprechen will. Ich weiß nicht mehr, wann sie zum ersten Mal vor mir erschienen – denn gleich einer Erscheinung überwältigen sie das junge Herz -, aber niemals mehr haben sie mich verlassen. Sie sind so mein Eigentum geworden wie mein eigener Atem. Sie sind in mir, ohne dass ich es weiß, ein Teil von mir, ohne den ich nicht wäre, was ich bin. Vermag ich zu sagen, wie es zugegangen ist? Ich habe diese Verse niemals zergliedert, geprüft und gewogen. Sie sind mir wie die Natur, aber eine höhere, geoffenbarte Natur. Sie sind der Schlacken und des Makels alles Menschlichen entkleidet. Sie sind das Letzte, was ein Menschenmund auszusagen vermag. In jenen vergangenen Jahren, als ich die Schönheit der Welt zu fühlen begann, als ich durch Feld und Wald streifte, „gespannt mein Feuerrohr“, indes die Erwachsenen schon lange dem verständigen Schlafe hingegeben waren, geschah es mir oft, dass ich stehen bleiben musste, gleichsam von einer Welle des Vergessens überspült, des Außermirseins, und dass ich, in Schauen verloren, diese Verse vor mich hinsprechen musste:

Der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar…

Nichts veränderte sich, nichts begab sich. Aber ein Glück ohne Maßen überströmte mich. Dass ich es so nachsprechen durfte. Dass es in diese Worte eingefangen und eingeschlossen war: das Wunder der Schöpfung, Schönheit und Sehnsucht, Frommsein und Friede. „der weiße Nebel wunderbar..“ Und so den ganzen Gang der Verse entlang, bis zu jenem begnadeten“ und unseren kranken Nachbar auch“.
Auch waren sie an keine Grenzen gebunden, weder des Lebens noch der Länder. An den Mooren Russlands galten sie, wie an den Wüsten der Champagne. Auch das Herz schlug ja hier wie dort. Auch Gedanken und Schmerzen kamen ja nicht zur Ruhe. Das Leben war ja da, und die Verse waren eingegangen in das Leben. Sie waren mein Blut geworden.“
Von den treuen Begleitern, Ernst Wichert (1831-1902)

Der Überschwang des Poeten im Zeitalter der Romantik.
Da rauschten die Zweige der Zedern, und höher und freudiger erhoben die Blumen ihre Häupter, und gleißende Paradiesvögel schwangen sich durch den Saal, und süße Melodien strömten aus den dunklen Büschen, und wie aus weiter Ferne hallte jauchzender Jubel, und ein tausendstimmiger Hymnus der überschwänglichsten Lust erfüllte die Lüfte, und in der heiligen Weihe der Liebe regten sich die höchsten Wonnen des Lebens und sprühten und loderten empor, reines Ätherfeuer des Himmels!
Meister Floh, E.T.A. Hoffmann (1776-1822)

E.T.A. Hoffmann, Foto: © Alte Nationalgalerie

Egal, ob wir Heine auf seinen Reisen begleiten, Hoffmanns Seelenfeuer lauschen, Manns Zauberberg besteigen oder Wicherts Empfindungen in uns nachwirken lassen – das deutsche Wort eignet sich wunderbar für Literatur.
Euer Kultur Jack!

Beitragsbild: Wernigerode, Pixabay

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !