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B(r)uchstücke der Literatur XXII – Es war als hätt´ der Himmel, die Erde still geküsst….

B(r)uchstücke der Literatur XXII – Es war als hätt´ der Himmel, die Erde still geküsst….

Heute greifen wenig Lesende zum Werk von Adalbert Stifter, es dürfte aus der Mode gekommen sein. Gut, ich muss zugeben, es passiert nicht sehr viel in seinen Erzählungen, aber das Wenige geschieht in ausgesuchten Worten. Er war ein begnadeter, romantischer Beobachter, der einer Holzmaserung mehr Beachtung schenkt, als dem Weltgeschehen, und dem Leser der das Wort über die Erzählung stellt, bereitet er genussvolle Stunden.

Foto: © Tobias ToMar Maier

Oft und oft, wenn ich die ewigen Sterne sah, diese glänzenden Tropfen, von dem äußeren, großen Weltenozean auf das innere blaue Glöcklein hereingespritzt, das man über uns Infusionstierchen gedeckt hat – wenn ich sie sah und auf ihnen dachte dieses Unmaß von Kräften und Wirkungen, die zu sehen und zu lieben ich hinieden ewig ausgeschlossen bin, so fühlte ich mich fürchterlich einsam auf der Insel „Erde“–und sind denn nicht die Herzen ebenso einsam in der Insel „Körper“? Können sie einander mehr zusenden als manchen Strahl, der noch dazu nicht immer so freundlich funkelt, als der von den schönen Sternen? Wie jene Herzen des Himmels durch ein einziges, ungeheures Band verbunden sind, durch die Schwerkraft, sollten auch die Herzen der Erde verbunden sein durch ein einziges, ungeheures Band – die Liebe – aber sind sie es immer?
Noch sind Kriege, noch sind Reichtum und Armut.
Was hat denn der unergründliche Werkmeister vor mit dem Goldkorn Mensch, das er an einen wüsten Felsen klebt, dem gegenüber der glänzende Sand einer endlosen Küste schimmert, der Saum eines unentdeckten Weltteils? Und wenn dereinst ein Nachen hinüberträgt, wird da nicht etwa wieder eine neue, schönere Küste herüberschimmern?–
Ich weiß nur das eine, Titus, dass ich alle Menschen, die eine Welle dieses Meeres an mein Herz trägt, für dies kurze Dasein lieben und schonen will, so sehr es nur ein Mensch vermag – ich muss es tun, dass nur etwas, etwas von dem Ungeheuren geschehe, wozu mich dieses Herz treibt. – Ich werde oft getäuscht sein, aber ich werde wieder Liebe geben, auch wenn ich nicht Liebe glaube – nicht aus Schwäche werde ich es tun, sondern aus Pflicht. Hass und Zank zu hegen oder zu erwidern ist Schwäche – sie zu übersehen und mit Liebe zurückzuzahlen ist Stärke.
Feldblumen, Adalbert Stifter (1805-1868)

Charles Dickens bezeichnete den, von seiner Feder stammenden, Roman „David Copperfield“ als seinen Lieblingsroman. Die, teils autobiografische, Geschichte zählt heute zu den bedeutendsten Bildungsromanen der Weltliteratur.

Foto: © National Library of Wales

Die Dolen flogen um die Kathedraltürme, und die Türme selbst, die über große unverändert gebliebene Teile des fruchtbaren Landes und seine schönen, freundlichen Kirchen hinwegblickte, ragten in den hellen Morgen, als ob es keine Wechsel von Werden und Vergehen auf dieser Erde gebe. Doch die Glocken sagten mir, als sie zu läuten begannen, mit trauriger Stimme, dass sich alles verändert habe; sie erzählten mir von ihrem eigenen Alter und von Doras Jugend und von den vielen, die nie alt geworden, die gelebt, geliebt hatten und gestorben waren, während der Widerhall der Glocken durch den rostigen Harnisch des schwarzen Prinzen, der in der Kirche hing, hindurchzitterte, und sich, ein Stäubchen auf dem Meer der Zeit, in der Luft wie Kringel auf dem Wasser verlor.
David Copperfield, Charles Dickens (1812-1870)

 

Es ist eine interessante Weltsicht, welche die Romanfigur von Alexander Lernet-Holenia, seinem Gegenüber darlegt.

Foto: © Die Bühne Heft 318

„Die Welt“, sagte er, mit dem Stock wie mit einer Pistole zuerst auf die Spitzen seiner eigenen Sommerschuhe und dann auf Sorias Aperitif zielend, „die Welt ist nicht, der Erdball, das Licht, der Himmel, die Ströme, der Donner und die Sterne; auch nicht die Menge der Menschen, die sich in den Städten drängen, das Wild, die Herden und die Schwärme der Fische im Meer; und nicht der Atlas trägt sie auf seinen Schultern, sondern es trägt sie jeder selbst im Haupt. Denn die Welt ist nur: genau so viel vom Leben, wie man selber lebt. Wenn ich schlafe, steht sie schon still; und wenn ich tot bin, existiert sie nicht mehr. Ein Stern, den ich nicht sehe, strahlt nicht am Himmel, und eine Frau, die ich nicht kenne, hat noch nicht gelebt. Aber wenn ich lebe, ist alles da: Alle Frauen und alle Sterne. Und die Welt geht so wenig unter, als sie aufgeht wie die Sonne. Aber ein Blick, und sie ist da, ein Schlagen der Wimpern, und sie ist fort, und wieder ein Blick und wieder ist sie da. Denn die Welt ist mehr als die Sonne. Die Welt ist selber das Auge, dem sie sich enthüllt, das Ohr, in dem sie tönt, die Finger, die sie fühlen. Gefühl, sagt man, sei alles. Die Welt ist Weltgefühl, nichts anderes. Wenn ich nicht fühle, existiert sie nicht. Es gibt keinen anderen Weltuntergang. Und Gott selbst, gefiel er sich nicht darin, zu beweisen, wie wenig seine Welt und wie der Mensch alles sei! Gab er die Herrschaft über den Erdball nicht zuzeiten an einen, dass er sich ihrer sogleich wieder begebe, an Konstantin oder an jenen Karl, aus dem habsburgischen Haus! Die Königreiche, die Heere und die Flotten, Byzanz und Rom, das heilige Reich, Flandern und Kyburg und Cleve, Kastilien, Leon und Aragon, Granada und die Inseln des Ozeans, beide Sizilien und beide Indien, hat der Kaiser sie nicht verschenkt, wie man Dinge fortgibt, die bloß mühsam sind, und auch die Würden von sich abgetan wie ein lästiges Kleid! Denn ein wirklicher Apfel, in der Hand eines Kindes, ist mehr Welt als der Reichsapfel, der die Welt bloß bedeutet, in eines Kaisers Hand!“
Die Auferstehung des Maltravers, Alexander Lernet-Holenia (1897-1976)

Karl Heinrich Waggerl beschreibt unseren Lebensweg in sieben Zeilen.

Foto: © Karl Heinrich Waggerl

Immer ist der Tod unterwegs, der düstere Engel. Wir kommen aus dem Dunkel, anfangs ist die Welt noch klein zwischen den fünf Brettern der Wiege. Aber die Welt wächst mit uns Jahr um Jahr. Die Macht des Bösen wächst, auch der Mut, die schöne und törichte Kühnheit der Jugend. Liebe kommt dazu, dann ist es schon mehr der Freude und der Qual, Kummer des Herzens, Schuld des Blutes. Wir treiben umher und kämpfen uns müde, und am Ende ist die Welt wieder klein zwischen den fünf Brettern des Sarges. Ach, Jahr um Jahr, es ist dennoch eine kurze Zeit, und unser letzter Schrei ist nur ein Widerhall des ersten.
Das Jahr des Herrn, Karl Heinrich Waggerl (1897-1973)

 

Der Titel dieses B(r)uchstücke-Beitrags ist einem wunderschönen Gedicht Joseph von Eichendorff entlehnt. Hier ist „Mondnacht“ in ganzer, kurzer, Länge.

Foto: © Georg Jäger

Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst‘.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis’ die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Mondnacht, Joseph von Eichendorff (1788-1857)

Zugleich mit diesen wunderbaren Zeilen verabschiedet sich, für heute,
Euer Kultur Jack!

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !