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B(r)uchstücke XIV – Reise um die Erde in 15 Minuten

B(r)uchstücke XIV – Reise um die Erde in 15 Minuten

Jules Verne brauchte für seine Reise noch 80 Tage, wir, im digitalen und automatisierten Zeitalter, schaffen unsere Lesereise in 15 Minuten! Also, Bücherkoffer ist gepackt und auf geht es nach Deutschland – dort gibt uns Bruno Frank einen ungewöhnlichen Einblick in eine Bibliothek!

Und hinter meinem Rücken weiß ich die weiten, tiefen Räume der Bibliothek, wo im Dunkel die Hunderttausende von Bänden auf ihren Regalen gereiht stehen, Meile um Meile davon, das zu Milliarden von Lettern schwarzgeronnene Herzblut derer, die ihre gierig wimmelnden, stolpernden Menschengenossen haben aufhorchen machen, zur Besinnung bringen und anleiten wollen.

                            Chamfort erzählt seinen Tod (Bruno Frank 1887-1945)

 

Foto: © Bruno Frank

 

Flugs überqueren wir den Ärmelkanal  und auf der britischen Insel lassen uns Antonia Byatts Gedanken über unsere menschliche Chronik innehalten.

Ein Mensch ist die Chronik seiner Atemzüge und Gedanken, seiner Taten, Atome und Verwundungen, seiner Liebe, Teilnahmslosigkeit und Abneigung und ebenso seiner Rasse und Nation, des Bodens der ihn und seine Vorfahren nährte, der Steine und des Staubs langvertrauter Orte, der längst verstummten Gewissenskämpfe, des Lächelns der Mädchen  und der bedächtigen Worte alter Frauen, der Zufälle und der stetigen Wirkung unerbittlicher Gesetze – das und noch etwas anderes, eine einsame Flamme, die in allem den Gesetzen unterliegt, die dem Feuer eigentümlich sind, und dennoch von einem Augenblick zum nächsten entzündet und gelöscht wird und in der ganzen Leere künftiger Zeiten nie wieder entfacht werden kann.

                                  Besessen (Antonia S. Byatt)

 

Foto: © Seamus Kearney

 

Wir setzen nach Frankreich über und blicken durch Andre Gides Augen auf die Welt.

Wenn  Sie wüssten“, rief sie dann freudig bewegt, „wenn Sie nur zu ahnen vermöchten, wie leicht ich mir das alles vorstelle. Wollen Sie, dass ich ihnen die Landschaft beschreibe? Hinter uns, über uns und um uns, ragen große Tannen empor, duftend von Harz, mit Granatstämmen und langen, düsteren, waagrechten Ästen, die sich seufzend wiegen im Wind. Zu unseren Füßen, gleichsam ein offenes Buch auf dem Pult des Berghanges, liegt die grüne, farbensprühende Wiese, von der Bläue des Schattens, vom Gold der Sonne wechselnd umspielt, und die einzelnen Blumen sind ihre Worte – Enzian, Anemonen, Ranunkeln und die schönen salomonischen Lilien – die Kühe buchstabieren sie mit ihren Glocken, und die Engel schweben herab sie zu lesen – da sie sagen die Augen der Menschen seien verschlossen.

                                          Die Pastoralsymphonie (Andre Gide 1869-1951)

 

Foto: © Claudio Elias

 

Am Weg zum nächsten Hafen halten wir kurz in Spanien um uns von Ramon Perez de Ayala über Liebesdinge aufklären zu lassen.

Cerecina bewunderte ihn; und die Bewunderung ist eine der schwachen Stellen und Breschen, durch die hindurch in aller Stille die Zitadelle der Liebe erobert wird. Aber er tat ihr auch leid; und das Mitleid ist in Liebesdingen wie ein Kind, das stirbt ehe es zur Welt kommt; eine Fehlgeburt,

                Pfefferkorn und Tausendmalverzeihung (Ramon Perez de Ayala 1880-1962)

Foto: © Kutxa Fototeka

 

So rasch wie wir hat noch niemand den Atlantik überquert und in New York werden wir von Philip Roth abgeholt der mit uns über Fallgruben spricht.

Doch ist der kleine Tom Paine erst einmal in die Gesellschaft von Männern geraten und der Vater versucht ihn noch immer wie ein Kind zu erziehen, hat der Vater ausgespielt. Natürlich sorgt er sich um die Fallgruben – alles andere wäre ein Fehler. Aber ausgespielt hat er trotzdem. Dem kleinen Tom Paine bleibt keine andere Wahl, als ihn abzuschreiben, den Vater zu verraten und den kühnen Schritt in die allererste Fallgrube des Lebens zu tun. Um fortan ganz allein – wahre Einheit seines Daseins vorausgesetzt – für den Rest seines Lebens von Grube zu Grube zu schreiten, bis hin zum Grab, das, wenn auch sonst nichts für es spricht, immerhin die letzte Grube ist, in die jemand fallen kann.

                        Mein Mann der Kommunist (Philip Roth 1933-2018)

Foto: © Eliane Lucina

 

Eine Reise bis nach Amerika für nur einen Schreibenden wäre zu aufwendig, deshalb besuchen wir noch John Steinbeck in Kalifornien.

Ein Tag, ein Tag so lang wie ein Leben, das ist kein Einerlei, sondern ein Vielerlei. Er verändert sich nicht mit dem zunehmenden Licht bis zu dessen Scheitelhöhe und bis zum Wiederabstieg, sondern hinsichtlich Stoff und Stimmung, in Ton und Sinn, die von tausend Faktoren der Jahreszeit beeinflusst werden, von Hitze und Kälte, von stillen und wirren Winden, verzerrt durch Düfte, Geschmäcke und die Gespinste von Eis oder Gras, Knospe, Blatt oder schwarzgedorrtem nacktem Geäst. Und wie der Tag sich verändert, ändern sich seine Wesen, Käfer und Vögel, Katzen und Hunde, Schmetterlinge und Menschen.

                           Geld bringt Geld (John Steinbeck 1902-1968)

 

Foto: © Photoplay

 

Wir haben schon genug Zeit auf Schiffen verbracht, darum reisen wir über Alaska und danach mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland zu Anton Tschechow.

Jalta war im Morgennebel kaum zu sehen, auf den Bergspitzen lagerten unbeweglich weiße Wolken. Das Laub rührte sich nicht, die Zikaden, und das eintönige, dumpfe Brausen des Meeres sprach von ewigem Schlafe, der uns alle erwartet. So brauste es hier als es weder ein Jalta noch ein Oreanda gab, so braust es jetzt, und es wird ebenso gleichgültig und dumpf brausen, wenn wir nicht mehr sind. In dieser Beständigkeit, in dieser Gleichgültigkeit unserm Leben und Sterben gegenüber liegt vielleicht das Pfand der ewigen Erlösung, des ewigen Fortschreitens des irdischen Lebens und seiner ewigen Vervollkommnung. Während er an der Seite der jungen Frau, die im Morgengrauen so schön schien, saß und von der märchenhaften Szenerie des Meeres, der Berge, der Wolken und des unendlichen Himmels beruhigt und bezaubert war, dachte er daran, wie schön doch alles in dieser Welt sei, alles, mit Ausnahme dessen was wir selbst tun und denken, wenn wir die höchsten Ziele des Seins und unsere eigene Menschenwürde vergessen.

                                Die Dame mit dem Spitz (Anton Tschechow 1860-1904)

 

Foto: © my-chekhov.ru

 

Auf unserer Heimreise machen wir noch kurz Rast bei dem französisch sprechenden Schweizer Blaise Cendrars.

Die Tage vergingen ereignislos, alle gleich erfüllt und gleich leer. Man weiß nie, welcher zählen wird, sonst würde man ihn festhalten. Aber so ist das Leben. Freude, Traurigkeit, Gesundheit, Krankheit. Alles geht vorüber. Was bleibt, ist nur die Kindheit, die zarte, leuchtende Kindheit, die man noch einmal durchleben möchte, um klarer zu sehen, um zu begreifen. Sie ist voller Zauber. Damals, als die Welt neu war, diese alte Welt… Und das Leben, dieser stetige Verfall, dieser unaufhörliche Verschleiß, dieses Wiedererstehen, wie das Feuer aus der Asche, dieser geheimnisvolle Vogel Phönix, diese alte Sphinx ohne Rätsel. Leben und Tod. Eins gleicht dem anderen. Gleichwertigkeit, Gleichheit an Wert. Ein schwindelerregender Kreislauf. Ich bin, du bist, er ist… Wir sind. Ein Umschauhalten.

                                           Die Gerte aus Isphahan (Blaise Cendrars 1887-1961)

Foto: © Le Web Pedagogique

 

Unsere rasante Weltreise endet wieder in Österreich und wir werden mit bedächtigen, gewählten Worten Stifters willkommen geheißen.

Da dachte ich so, wie denn Gott mit den Linien und Formen des Menschenangesichts so eigen und am wunderbarsten den Geist der Schönheit verband, dass wir so mit Liebe hineinsehen und von Rührung getroffen werden; – aber kein Mensch, dachte ich, kann eigentlich dieses wundervolle Titelblatt der Seele so verstehen, als ein Künstler, ein echter, rechter, wie er uns beiden oft im Ideale vorschwebte; denn der Weltmensch schaut nur oberflächlich oder selbstsüchtig, und der Verliebte verfälscht, nur zu sehr am irdischen Geschöpfe hangend: aber der reine, einfältige Meister in seiner Werkstätte, tagelang denselben zwei Augen gegenüber, die er bildet und rundet – der sieht den Finger Gottes aus den toten Farben wachsen, und was er doch selber gemacht hat, scheint ihm nun nicht bloß ein fremdes Gesicht, sondern auch eine fremde Seele, der er Achtung schuldig ist – und öfters mag es geschehen, dass mit einem leichten, ungefähren Zug des Pinsels plötzlich ein neuer Engel in die Züge tritt, davor er fast erschrickt und von Sehnsucht überkommen wird.

                                           Feldblumen (Adalbert Stifter 1085-1868)

Foto: © Alfred Doppler

 

Liebe Leute, diese Reise hat uns gezeigt, dass, obwohl alle Schreibenden nur Worte verwenden können, diese doch sehr unterschiedlich zu Literatur zusammengesetzt werden meint,

Euer Kultur Jack!

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !