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B(r)uchstücke X

B(r)uchstücke X

Henry Miller war ein Rebell! In jungen Jahren brach er sein Studium nach 2 Monaten ab, weil ihm die vorgegebene  Leseliste nicht gefiel. Liest man sein Werk, welches in großen Teilen autobiographisch ist, merkt man, dass er ein unermüdlicher Denker war. Und er versuchte Erfahrenes oder Erlesenes weiter oder bis zu Ende zu denken.

Zwei Gedanken sind absolut unfassbar. Der Gedanke der Schöpfung und sein Gegenteil, das Chaos. Unmöglich sogar sich so etwas wie das Unerschaffene vorzustellen. Je tiefer wir blicken, desto größere Ordnung entdecken wir in der Unordnung, desto strengere Gesetze im Gesetzlosen, desto mehr Licht in der Dunkelheit. das Nichts – die Abwesenheit aller Dinge – ist undenkbar. Sie ist das Gespenst eines Gedankens. Alles brodelt, rührt sich, stößt sich, wächst, schwindet, verändert sich – seit einer Ewigkeit ist es so. Und alles geschieht nach unergründlichen Antrieben und Kräften, die wir, wenn wir sie erkennen, Gesetze nennen. Chaos! Wir wissen nichts vom Chaos. Stille! Nur die Toten kennen sie. Das Nichts! Blase, soviel du willst, immer bleibt etwas zurück.
Wann und wo hört die Schöpfung auf? Und was kann so ein Schriftsteller schaffen, was nicht schon geschaffen ist? Nichts. Der Schriftsteller ordnet die graue Materie in seinem Dusselkopf um. Er macht einen Anfang und ein Ende – gerade das Gegenteil von Schöpfung! – und mittendrin, wo er umherschlurft, oder richtiger, umhergeschlurft wird, entsteht die Nachahmung der Wirklichkeit : ein Buch. Manche Bücher haben das Antlitz der Welt verändert. Nur eine Umordnung, weiter nichts. Die Probleme des Lebens bleiben. Einem Gesicht kann man die Runzeln entfernen, aber das Alter kann man nicht verringern. Bücher haben keine Wirkung. Autoren haben keine Wirkung. Die Wirkung war mit der ersten Ursache gegeben. Wo warst du, als ich die Welt schuf? Beantworte diese Frage, und du hast das Rätsel der Schöpfung gelöst.
Nexus  (Henry Miller 1891-1980)

Foto: ©: Michael(a.k.a. Moik) Mc…

 

 

Adalbert Stifter wurde von seinen Kritikern unter anderem „Mangel an Tatkraft und Leidenschaft“ vorgeworfen. Zugegeben, in seinen Büchern passiert nicht sehr viel, aber das auf allerhöchstem Niveau. Jedoch wenn jemand solche Worte für eine Mondnacht findet, kann man ihm kaum vorwerfen, dass er leidenschaftslos ist.

Allmählich puppte sich denn doch alles, was Mensch heißt, in seine Nachthüllen ein, und nur die Rufe der Schlemmer tönten hie und da herauf, wie sie ihren späten Nachtweg nach Hause suchten – dann hob jene Zeit an, die die Philosophen, Dichter und Kater lieben, die Nachtstille – mein vierpfotiger Freund hat eben nicht den übelsten Geschmack für die Zeit seiner Spaziergänge – der Mond hatte sich endlich von den Dächern gelöst und stand hoch im Blau – ein Glänzen und ein Flimmern und ein Leuchten durch den ganzen Himmel begann, durch alle Wolken schoss Silber, von allen Blechdächern rannten breite Ströme desselben nieder und an die Blitzableiter, Dachspitzen und Turmkreuze waren Funken geschleudert. Ein feiner Silberrauch ging über die Dächer der weiten Stadt wie ein Schleier, der auf den hunderttausend schlummernden Herzen liegt. Der einzige Goldpunkt in dem Meere von Silber war die brennende Lampe drüben in dem Dachstübchen der armen Waschfrau, deren Kind auf den Tod liegt.
Abdias (Adalbert Stifter 1805-1868)

Foto: ©: Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 24.1908-1909

 

Er hat etliche Romane geschrieben, wurde viel gelesen, erhielt eine große Anzahl Auszeichnungen und wird trotzdem heute selten erwähnt.

Er legte die Biene in eine Aschenschale. “Nun ist sie tot“, sagte er, „wenngleich doch der Sommer erst anfängt. Zu den Blumen der Wiesen wird sie nicht mehr können, und nicht zu den Spalieren, auf welche die Sonne scheint. Zu den Malven, die sie gewohnt war zu befliegen, wird sie nicht wiederkommen, und nicht mehr zum Phlox, wenn er blüht. Dass doch auch die Blumen blühen können wie umsonst! Dass auch der Sommer enden kann, von dem es doch scheint, er sei auf immer! Eines Tages, wenn sich´s eintrübt, wird der Teich sich mit Silber berieseln, seine winzigen Wellen werden das Spiegelbild einer Welt zudecken, die nicht mehr ist, und seine Binsen werden von allen flüstern, die nicht mehr sein werden. Wie traurig, nicht wiederkommen zu können, nie mehr wieder. Und ach, dass auch Liebende nicht wiederzukommen vermögen, nicht einmal sie! Sie leben ja doch füreinander, Tage zuerst, dann Wochen, schließlich Jahre. Und sie meinen, es sei für alle Zeiten. Aber dann kommt dennoch der Augenblick, welcher der letzte ist. Sie nehmen Abschied voneinander und glauben vielleicht noch, es sei bloß irgendein Abschied und nur für kurze Zeit. Doch es ist auf immer. Die Wege, die sie zu gehen gewohnt waren, warten umsonst auf sie, und die Zimmer, in denen sie einander Getroffen, bleiben leer, wie leere Stellen. Zwei Hände liegen noch ineinander, aber im Augenblick ist des einen Hand entfernter als die fernsten Sterne, und die Tränen, die darauf niedertropfen, fallen in die Ewigkeit.
Beide Sizilien (Alexander Lernet-Holenia)

Foto: ©: Rudolf Schloß

 

Jeder Mensch hat eine Vorliebe für bestimmte Gerüche, genauso wie er andere meidet. Schlinks Beschreibung ist recht intensiv aber nie abstoßend.

Ich hatte ihren Geruch früher besonders geliebt. Sie roch immer frisch: frisch gewaschen oder nach frischer Wäsche oder nach frischem Schweiß oder frisch geliebt. Manchmal nahm sie Parfum, ich weiß nicht, was für eines, und auch dessen Duft war mehr als alles andere frisch. Unter diesen frischen Gerüchen lag noch ein anderer, ein schwerer, dunkler, herber Geruch. Oft habe ich an ihr geschnüffelt, wie ein neugieriges Tier, habe an Hals und Schultern angefangen, die frisch gewaschen rochen, habe zwischen den Brüsten den frischen Schweißgeruch eingesogen, der sich in den Achselhöhlen mit dem anderen Geruch mischte, fand diesen schweren, dunklen Geruch um Taille und Bauch fast pur und zwischen den Beinen in einer fruchtigen Färbung, die mich erregte, habe auch ihre Beine und Füße beschnuppert, die Schenkel, an denen sich der schwere Geruch verlor, die Kniekehlen, noch mal mit leichtem, frischen Schweißgeruch, und die Füße, mit dem Geruch von Seife, Leder oder Müdigkeit. Rücken und Arme hatten keinen besonderen Geruch, rochen nach nichts und rochen doch nach ihr und in den Handflächen war der Geruch des Tages und der Arbeit: die Druckerschwärze der Fahrscheine, das Metall der Zange, Zwiebel oder Fisch oder gebratenes Fett, Waschlauge oder Bügelhitze. Werden sie gewaschen, verraten Hände zunächst nichts von alledem. Aber die Seife hat die Gerüche nur überdeckt, und nach einer Weile sind sie wieder da, schwach, verschmolzen in einen einzigen Tages- und Arbeitsduft, in den Duft des Tages- und Arbeitsendes, des Abends, der Heimkehr und des Daheimseins.
Der Vorleser (Bernhard Schlink geb.1944)

Foto: ©:Ps45md

 

Abschließend noch ein paar Zeilen des Nobelpreisträgers John Galsworthy, die ohne weiteres berühren können.

Aber in mir begann als Antwort der Sang aller ungekannten Dinge, ein Sang, so zart, so ekstatisch, der unendlich feinen, goldenen Saiten zitternd zu entschweben schien und wie ein verzückter Traum zu schnell verwehte. Der Sang des geheimnissekundigen Windes, der die tiefdunklen Wälder und das wilde Meer belauscht hat, der über so viele Gesichter und durch das dichteste Gras und Schilf geweht – der Sang alles dessen, was der Wind gesehen und gefühlt hat. Der Sang der Leben, die ich niemals leben sollte; der Sang der Lieben, die ich niemals lieben sollte – das sang in mir als ob ich`s sollte!

                                                                   Romantik (John Galsworthy 1867-1933)

Foto: ©: Nobel Foundation

 

In der Hoffnung seine Leser mit sehr unterschiedlichen Auszügen erfreut zu haben, verabschiedet sich für heute, Euer
Kultur Jack!

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !