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B(r)uchstücke der Literatur LXI – Österreich schreibt

B(r)uchstücke der Literatur LXI – Österreich schreibt

Stifter und seine Liebe zu seiner Heimat Oberösterreich.

Adalbert Stifter, Foto: © Picryl

Wenn von unserem wunderschönen Land ob der Enns die Rede ist, und man die Herrlichkeiten preist, in welche es gleichsam wie ein Juwel gefasst ist, so hat man gewöhnlich jene Gebirgslandschaften vor Augen, in denen der Fels luftblau emporstrebt, die grünen Wasser rauschen, und der dunkle Blick der Seen liegt; wer sie einmal gekannt und geliebt hat, der denkt mit Freuden an sie zurück, und ihr heiteres Bild mit dem duftigen Dämmern und dem funkelnden Glänzen steht in der Heiterkeit seiner Seele – aber es gibt auch andere, unbedeutendere, gleichsam schwermütig schöne Teile, die abgelegen sind, die den Besucher nicht rufen, ihn selten sehen und, wenn er kommt, ihm gerne weisen, was im Umkreise ihrer Besitzungen liegt; wer sie einmal gekannt und geliebt hat, der denkt mit süßer Trauer an sie zurück, wie an ein bescheidenes, liebes Weib, das ihm gestorben ist, das nie gefordert, nie geheischt und ihm alles gegeben hat.
Abdias, Adalbert Stifter (1805-1868)

Dichtung und Exzentrik.

Foto: © Neithan 90

In Paris hatte ich meistens kein Geld, aber immer, wenn das Geld zu Ende ging, musste ich damit etwas Besonderes machen, auch heute übrigens noch, es darf nicht einfach ausgegeben werden, sondern ich muss einen abschließenden Einfall haben, wie es auszugeben ist, denn wenn mir etwas einfällt, dann weiß ich einen Augenblick lang, wie ich die Welt mitbevölkere und der Teil einer ständig stark zunehmenden, leicht abnehmenden Bevölkerung bin, und wie die Welt, überfüllt mit einer bedürftigen Bevölkerung, einer nicht satt zu bekommenden, immer in Notstand lebenden Bevölkerung, sich durch das All dreht, und wenn ich auf ihr, mit einer leeren Tasche und mit einem Einfall im Kopf, hänge durch die Schwerkraft, weiß ich, was zu tun ist.
Malina, Ingeborg Bachmann (1926-1973)

Prophetie eines großen Europäers.

Stefan Zweig, Foto: © Arquivo Nacional, Brasil

Ursprung: woher kommt diese furchtbare Welle, die uns alles Farbige, alles Eigenförmige aus dem Leben wegzuschwemmen droht? Jeder, der drüben gewesen ist, weiß es: von Amerika. Die Geschichtsschreiber der Zukunft werden auf dem nächsten Blatt nach dem großen europäischen Kriege einmal einzeichnen für unsere Zeit, dass in ihr die Eroberung Europas durch Amerika begonnen hat. Oder mehr noch, sie ist schon in vollem reißendem Zuge, und wir merken es nur nicht (alle Besiegten sind immer Zu – langsam – Denker). Noch jubelt bei uns jedes Land mit allen seinen Zeitungen und Staatsmännern, wenn es einen Dollarkredit bekommt. Noch schmeicheln wir uns Illusionen vor über philanthropische und wirtschaftliche Ziele Amerikas: in Wirklichkeit werden wir Kolonien seines Lebens, seiner Lebensführung, Knechte einer der europäischen im tiefsten fremden Idee, der maschinellen.
Menschen und Schicksale, Die Monotonisierung der Welt (1925), Stefan Zweig (1881-1942)

Es muss nicht immer Weltliteratur sein, wenn Kulturelles zu Papier gebracht wird.

Foto: © Kultur Jack

Ich zitiere in diesem Zusammenhang mit großer Bewegung den Epilog des Buches „Takt und Taktik im Klassenzimmer“ von Haim Ginott: „Am ersten Tag des neuen Schuljahres erhielten alle Lehrer einer Privatschule von ihrem Schulleiter folgenden Brief: Liebe Lehrer! Ich habe ein Konzentrationslager überlebt. Meine Augen haben Dinge gesehen, die kein menschliches Auge je erblicken sollte: Gaskammern, erbaut von gebildeten Ingenieuren; Kinder, vergiftet von wissenschaftlich ausgebildeten Ärzten; Säuglinge, getötet von erfahrenen Kinderschwestern; Frauen und Kinder, erschossen und verbrannt von ehemaligen Oberschülern und Akademikern. Deswegen traue ich der Bildung nicht mehr. Mein Anliegen ist: Helfen Sie ihren Schülern menschlich zu werden. Ihr Unterricht und Ihr Einsatz sollten keine gelehrten Ungeheuer hervorbringen, keine befähigten Psychopathen, keine gebildeten Eichmanns. Lesen, Schreiben und Arithmetik sind nur wichtig, wenn sie dazu beitragen, unsere Kinder menschlich zu machen.“
Die österreichische Seele, Erwin Ringel (1921-1994)

Der Aufwand der bloßen Existenz.

Robert Musil, Foto: © viadellebelledonne

Könnte man die Sprünge der Aufmerksamkeit messen, die Leistungen der Augenmuskeln, die Pendelbewegungen der Seele und alle die Anstrengungen, die ein Mensch vollbringen muss, um sich im Fluss einer Straße aufrecht zu halten, es käme vermutlich- so hatte er gedacht und spielend das Unmögliche zu berechnen versucht- eine Größe heraus, mit der verglichen die Kraft die Atlas braucht, um die Welt zu stemmen, gering ist und man könnte ermessen, welche ungeheure Leistung heute schon ein Mensch vollbringt, der gar nichts tut.
Der Mann ohne Eigenschaften, Robert Musil (1880-1942)

Die Illusion der Zeit, die man vielleicht gar nicht hat.

Alexander Lernet-Holenia, Foto: © ÖNB United States Information Agency

So verging hier die Zeit. Zwar schien sie stillzustehen, sie täuschte über ihr eigenes Vergehen hinweg, aber sie verging dennoch, und schließlich musste man sozusagen an den Rand dieser Zeit kommen, wo etwas wie ein Absturz war, ähnlich wie die Seefahrer des Fünfzehnten Jahrhunderts gemeint hatten: wenn man immer weiter auf das Meer hinausfahre, müsse man endlich an den Rand der Welt gelangen und ins Bodenlose stürzen. Die Zeit an sich, freilich, ist rund wie der Erdball und schließt sich in sich selber. Es war aber Silverstolpes Lebenszeit, die verging. Er selbst hatte zwar gesagt, er kümmere sich um ihr Vergehen nicht mehr und es liege ihm nichts an ihr. Doch war der Augenblick vorauszusehen, wo man nicht mehr würde sagen können: morgen, oder: später, und in welchem sie von furchtbarer Kostbarkeit werden musste.
Denn es ist ein Unterschied, ob etwas bald sein wird oder gleich. „Bald“ kann auch bedeuten: noch verhältnismäßig lange werde es dauern, bis dies oder das eintreten werde, und es ist ein Zeitraum bis dahin, in welchem man sich, jedenfalls, noch bewegen kann. Es muss dann nicht sofort sein, augenblicklich, dass man etwa das Haus verlassen und verreisen – oder dass man sterben muss. Man kann auch, etwa, immer noch durch die Zimmer und durch den Garten gehen, oder zu einer bestimmten Stelle am Waldrand, wohin man – man weiß selbst nicht aus welchem Grunde – gemeint hat, auf jeden Fall noch einmal gehen zu müssen. „Gleich“ aber schließt alles andere aus bis auf das eine, das sofort, augenblicklich zu geschehen hat. Es nimmt einem alle Luft weg. Zum Beispiel stirbt man, eigentlich, sein ganzes Leben lang, und das stimmt ein wenig schwermütig, doch gewöhnt man sich daran. Aber schließlich kommt die Zeit, zu der man „sogleich“ sterben muss. Und dies scheint kaum zu leisten.
Die Zeit ist die Dauer aller Dinge, die, wenn schon ihrer nicht unendlich viele sind, so doch in sich selbst zurückmünden – denn alles kehrt zu sich selbst zurück – und die sich um ihrer aller gemeinsamen Schwerpunkt zu einer Kugel schließen, so dass wir gewissermaßen wie auf einem zweiten Erdball umhergehen und von den Dingen immer wieder auf Dinge kommen, ohne zu merken, dass wir im Kreise gehen. Aus dem gleichen Grunde ist auch die Welt begrenzt und muss, wenngleich sie endlos scheint, enden. Das einzelne Ding aber ist noch begrenzter. Es kann zwar scheinen, dass es lange daure, und ein Augenblick seiner Dauer gleicht dem anderen, etwa wie zwischen den einzelnen Stunden des Tages wenig Unterschied ist und wie die Schatten am Morgen nicht viel anders, nur in anderer Richtung fallen, wie am Nachmittag. Welcher Unterschied aber besteht zwischen dem Augenblick, in welchem etwas noch ist, und dem nächsten, in welchem es nicht mehr ist – etwa wie wenn die Sonne eben noch über dem Horizont geschwebt, und nun ist sie hinunter und nun ist Nacht. Das ist es: dass die Zeit binnen sich selber Grenzen hat, wie Fugen zwischen den einzelnen Dingen.! Dass wir, so unbegrenzt eine Zeit auch scheinen mag, in dieser Zeit selbst fortwährend an die Grenzen der zahllosen Dinge kommen, aus denen sie besteht, – an zahllose Grenzen. Immerzu nimmt man von allem Abschied. Kostbarer „als die rosafarbene Perle, um welche die Könige des Meeres buhlen“, kostbarer als eine goldelfenbeinerne Figur des Phidias, als edelsteinbesetzte Schüsseln aus Florenz, als Brokate aus Flandern oder eine unbekannte Handschrift Dantes oder der Sappho, unendlich kostbarer sind die letzten Augenblicke, in denen man vor dem Antlitz einer Geliebten, von einer Sommerwiese, einem regenverweinten Walde Abschied nimmt. Und man hatte der Zeit doch nicht geachtet. Aber schließlich hat man sogar von sich selbst Abschied zu nehmen. Man hat leicht reden, dass man eigentlich unsterblich sei. Man stirbt dann nur um so öfter. Man ist immer des Todes.
Beide Sizilien, Alexander Lernet-Holenia (1897-1976)

Auch wenn Österreich heute ein sehr kleines Land ist, zeigt es an seinen kulturellen Leistungen, dass es einst ein großes Reich war.
Euer Kultur Jack!

Beitragsbild: Pixabay, Hallstatt Österreich

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !