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B(r)uchstücke V

B(r)uchstücke V

 

Manchen Menschen, liebe Leute, mag es scheinen, dass ein Buch zu lesen, Zeit totzuschlagen bedeutet. Oder auch eine Flucht aus dieser Welt. Für mich liegt die Bedeutung und der Sinn bis heute darin:

„Warum liest du dann überhaupt?“
„Teilweise, weil es eine angenehme Gewohnheit ist, und teilweise, weil ich mich selbst gerne kennenlernen möchte. Wenn ich ein Buch lese, so scheinen zuerst nur meine Augen zu lesen, aber dann treffe ich hin und wieder mal eine Stelle, vielleicht auch nur einen einzigen Satz, der mir etwas sagt, und so wird es ein Teil von mir. Ich habe aus dem Buch dann alles, was für mich von Nutzen ist, herausgeholt, und mehr kann ich nicht bekommen, wenn ich es auch noch ein dutzendmal läse. Weißt du, mir scheint es, als sei man eine geschlossene Knospe, und das meiste, was man liest und tut, hat überhaupt keine Wirkung; aber es gibt gewisse Dinge, die eine besondere Bedeutung für einen haben, durch sie wird ein Blumenblatt geöffnet, und so öffnen sich die Blumenblätter, eines um das andere, und schließlich ist eine Blüte da.“

Der Menschen Hörigkeit ( William Somerset Maugham  1874-1965)

 

Buchantiquariate haben eine magisch anziehende Wirkung auf mich. Das geschah auch vor ein paar Jahren in München und so kam ich mit der Welt von Thomas Hardy und wie er sie beschreibt in Berührung:

Es enthüllte ein helles, liebliches und offenes Landmädchengesicht, das in einem Nest von welligem, kastanienbraunem Haar ruhte. Es war hübsch und fast schön zu nennen. Obgleich die Augen geschlossen waren, konnte man sich gut das Licht vorstellen, das zwangsläufig als Krönung dieses strahlenden Kunstwerkes darin schien. Auf seinem Grunde zeigte dieses Antlitz frohe Erwartung, doch diese war jetzt, wie von einer fremden Substanz, überdeckt von einem Film aus Besorgnis und Kummer. Der Kummer lag erst seit so kurzer Zeit darauf, dass er ihm nichts von seiner Blüte genommen und dem, was er am Ende zu zerstören vermochte, bisher nur Würde verliehen hatte.

Auf verschlungenen Pfaden ( Thomas Hardy 1840-1928)

 

Jedem Peter Rosegger zugeneigten Leser würde ich wärmstens empfehlen, dessen Geburtshaus im steirischen Alpl zu besuchen. Da es noch im Originalzustand erhalten ist rundet es den Blick auf die Geschichten seiner Kindheit, und der Menschen die darin vorkommen, erhellend ab.
Ebenso betrifft es sein späteres Wohnhaus in Krieglach. Man hat dort das Empfinden, er habe es nur für einen Augenblick verlassen:

Die zarten Vergissmeinnichte schauten treuherzig zu ihm auf, als Boten aus der Erde, erstanden zur stillen Mahnung, derer nicht zu vergessen, die liebevoll einst in seinem Lebenskreise gewaltet, nun zur Erde gesunken sind.
Hoch über dem weiten, klaren Meer der Luft, tief im Himmel drinnen brennt der Sonnenstern und sendet seine Flammen den lichtdurstigen Wesen der Erde. – Pfingsten! Phönix! Das vor etlichen Monaten noch in Moder und Starrnis daliegende Jahr ist neuverjüngt auferstanden, wie der Wundervogel im Märchen.
Ist es denn wahr, dass die Menschen so sehr zum Bösen neigen? Wir stehen aufrecht, unser Fuß wandelt auf Blumen, unser Haupt ist gereift im Lichte des Himmels. Das Leid des Herzens, was ist es anderes, als Heimweh nach dem Guten und Heiteren!
Und ist es Elend, wenn unser Haupt einmal in Wetternacht gehüllt ist? Gäbe es keine Nacht, wer hätte je in die Tiefen des Sternenhimmels geschaut!
Da kommen sie, die undankbaren Kinder der Welt und schreien : Die Mutter ist schlecht! -und beweisen es. Ich sage trotz allem: Sie ist gut und braucht es nicht zu beweisen. Und schauet den Lebensweg dessen der hier im Waldfrieden ruht. Der Zweifel hat mich an der Brust, der Kummer mich an den Haaren gepackt; der Hass hat mich durchwühlt, die Liebe mich gefoltert; Unrecht habe ich erfahren. Aber tausendmal mehr als das alles : Unrecht hab’ ich getan! Und dennoch, ich ersehne das Schlafen nicht und bedauere des Morgens das Erwachen nicht. Vernichten kann mich nicht der Schmerz, denn er will geheilt sein, nicht die Schuld, denn sie will gesühnt sein – nur die Stumpfheit, denn sie will – nichts.
Draußen im Lande das Kornfeld. Die jungen Ähren heben ihre Häupter und ihr Pfingstgebet geht nach Sonnenschein. Ihre Sehnsucht ist, zu reifen, aber das Reifen ist ihr Sterben. Das Korn kommt in die Erde. Und im nächsten Jahr, wenn wieder Pfingsten ist, kann das Kornfeld zehnmal größer sein. Das Leben nimmt nicht ab, es nimmt zu.

Der Gottsucher ( Peter Rosegger 1843-1918)

 

Im Frühling  dieses Jahres ist der US-amerikanische Schriftsteller  Philip Roth gestorben. Obwohl er ein recht umfangreiches Werk hinterlassen hat, ist es doch befremdlich, dass nie wieder ein neues Buch von ihm erscheinen wird:

Als das Publikum wieder hereinströmte, begann ich mir, wie ein Cartoon – Zeichner, die tödlichen Krankheiten vorzustellen, die, ohne dass wir es ahnen, in jedem von uns, in jedem einzelnen von uns arbeiten: Ich visualisierte, wie sich die Blutgefäße unter diesen Baseballmützen verengten, wie die bösartigen Tumore unter den weißen Dauerwellen wucherten, wie die Organe Fehlfunktionen hatten, schwächer wurden, aussetzten, wie die Hunderte von Milliarden mörderischer Zellen dieses ganze Publikum unablässig auf das unwahrscheinliche Verhängnis zumarschieren ließen. Ich konnte gar nicht mehr aufhören. Was für eine atemberaubende Dezimierung ist der Tod, der uns alle dahinrafft. Orchester, Publikum. Dirigent, Techniker, Schwalben, Zaunkönige – man stelle sich vor, wie viele allein in Tanglewood von jetzt bis zum Jahr 4000. Und dann multipliziere man das mit allem. Dieses ununterbrochene Vergehen. Was für eine Vorstellung! Welcher Wahnsinnige hat sich das ausgedacht? Und doch: Was für ein herrlicher Tag heute ist, ein Geschenk von einem Tag, ein perfekter Tag, dem es an diesem Ausflugsort in Massachusetts, so hübsch und harmlos wie nur irgendeiner, an nichts fehlt.

Der menschliche Makel ( Philip Roth 1933-2018)

Nach so viel Ernsthaftigkeit, schließen wir heute mit ein wenig Heiterkeit:

Zum Beispiel mit dem Schnee. Immer wieder haben sie die Geschichte ausgegraben, dass es früher, vor zwanzig, ja noch vor ein paar Jahren, viel mehr Schnee gegeben hat. Und der Lift Lois hat natürlich am besten gewusst: kein Wort wahr.
Das Gerücht ist nur von den Lift- und Pensionsbesitzern in die Welt gesetzt worden, weil es nur jeden zweiten oder dritten Winter während der Weihnachtsfeiertage ordentlichen Schnee gegeben hat. Und natürlich – die Schitouristen nicht zufrieden, sparen das ganze Jahr im Ruhrgebiet und sitzen dann in  ihrem Hotelzimmer.
Oder sie rutschen über die nur angezuckerten Felder und ruinieren sich die neue Schiausrüstung schon am ersten Tag. Da haben ihnen die Gastronomen gern die Geschichte von der Klimaverschiebung serviert. Weil so ist der Mensch. Ein großes Unglück wie die Zerstörung der Erde verkraftet er viel leichter als ein kleines Unglück wie die Zerstörung der neuen  Schi.

Die Auferstehung der Toten ( Wolf Haas, geb.1960)

 

Es ist nicht leicht, dass mich ein Autor, indem er eine Geschichte erzählt, zum Lachen bringt. Wolf Haas schafft es fast mit jedem Buch, freut sich
Euer Kultur Jack!

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !