B(r)uchstücke der Literatur XLI – Das literarische Österreich
Der Kaiserliche Hof in Österreich hatte, für den Außenstehenden, auch humorvolle Seiten.
„Die hatte das richtige Geschick, als sie 1880 den Gastronomen Eduard Sacher heiratete, einundzwanzig Jahre alt war sie und brachte Hotel und Restaurant, die wenige Jahre vorher erst gebaut worden waren, sofort auf Trab, dass es üblich wurde, vor großen Festessen am kaiserlichen Hof im Sacher zu dinieren, nicht allein wegen des besseren Essens, auch die Hofküche lieferte ein ausgezeichnetes Menü, aber die Gäste konnten in der Regel höchstens kosten, das Habsburger Zeremoniell schrieb das Speisen „á la Cour“ vor, was heißt, wenn der Kaiser bei einem Gericht Messer und Gabel weglegte, so mussten dies im gleichen Augenblick sämtliche Gäste tun, und Franz Josef, dem zuerst serviert wurde, war ein ganz flüchtiger Esser, und nahm bloß wenige Bissen zu sich, was bedeutete, dass die Teilnehmer, besonders an den äußeren Enden der ausgedehnten Tafel, die jeweiligen Gerichte kaum zu Gesicht bekamen, also wurde Tradition, vorher gut und Ausgiebig bei Sacher zu dinieren, um, wie der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza scherzhaft zu sagen pflegte, an des Kaisers reichbesetzter Tafel nicht den Hungertod zu riskieren, und Anna Sacher nützte die Not der Mächtigen und verwöhnte und verkuppelte und intrigierte und bemutterte und drückte nötigenfalls beide Augen zu, eine großartige Nobelwirtin war sie und wurde schließlich zu einer Berühmtheit mit ihren dicken Havannas und ihren englischen Zwergbullis, die sie selber züchtete und mit Gänseleber und Kaviar fütterte.“
Ganz Wien ist ein Beisl, HG: Franz M. Ebyl, Christoph Braendle (geb. 1953)
Zu den ungewöhnlichsten Schriftstellern Österreichs muss man sicher Fritz von Herzmanovsy Orlando zählen. Seine Erzählungen sind voll von skurrilen Figuren, surrealen Begebenheiten und humorvollen Schilderungen.
„Das Schicksal hatte ihn in eine prunkvolle Goldwiege gelegt, oder, da wir uns möglichst genau ausdrücken wollen: in eine Wiege aus Ebenholz, die mit falschen Elfenbeininkrustationen aufs tollste und unübersichtlichste verziert war, wie es die damals herrschende Mode des Deuxiéme Empire tyrannisch verlangte. Trotz dieser Elfenbeinpracht und trotz dem stilvoll darauf abgestimmtem Nachttöpfchen mit Musikeinlage war der spätere Lebensweg unseres Helden von – wir übertreiben nicht – haushohen Distel umwuchert. Weiß der Teufel, in was für Aspekten die großen Himmelslichter zueinander standen, die im Augenblick seiner Geburt empordonnerten! Damals fiel es noch niemandem ein Horoskop zu verfassen. Die Leute, die das heute tun, beschäftigten sich damals, teils mit dem Vertrieb von Wanzentinkturen und Hühneraugenmitteln, teils versprachen sie in überdeutlich illustrierten Annoncen einer begierigen Klientel je nachdem üppige Büsten oder meterlange Schnurrbärte, Aufklärung und Liberalismus blühten, Gummizugschuhe galten als letzter Chic, und jeder, der ein bisschen was auf sich hielt, war stolz vom Affen abzustammen, was eine triumphierende Wissenschaft täglich aufs neue kristallklar bewies. Angesehen Familien zerkrachten sich in leidenschaftlichen Diskussionen über die Möglichkeit und den Nutzen von Pferdebahnen, und manch ein himmelstürmender Sohn wurde bei derartigen Gelegenheiten mit feierlichem Fluch aus dem Vaterhaus verstoßen, sodass er sein Heil fortan in Amerika oder anderen wilden Ländern suchen musste.“
Cavaliere Huscher, Fritz von Herzmanovsky Orlando (1877-1954)
Zweig hat die Gefahr des geistigen Niedergangs, vor 95 Jahren, im Ansatz gut erkannt, jedoch wäre er heute verwundert, wie sehr er sie unterschätzt hat. Und auch, wie sehr Europa mit Amerika gleichgezogen hat.
„Die wahre Gefahr für Europa scheint mir im Geistigen zu liegen, im Herüberdringen der amerikanischen Langeweile, jener entsetzlichen, ganz spezifischen Langeweile, die dort aus jedem Stein und Haus der nummerierten Straßen aufsteigt, jener Langeweile, die nicht, wie früher die europäische, eine der Ruhe, eine des Bierbanksitzens und Dominospielens und Pfeifenrauchens ist, also eine zwar faulenzerische, aber doch ungefährliche Zeitvergeudung: die amerikanische Langeweile aber ist fahrig, nervös und aggressiv, überrennt sich mit eiligen Hitzigkeiten, will sich betäuben in Sport und Sensationen. Sie hat nichts Spielhaftes mehr, sondern rennt mit einer tollwütigen Besessenheit, in ewiger Flucht vor der Zeit: sie erfindet sich immer wieder neue Kunstmittel, wie Kino und Radio, um die hungrigen Sinne mit einer Massennahrung zu füttern und verwandelt die Interessensgemeinschaft des Vergnügens zu so riesenhaften Konzernen wie ihre Banken und Trusts.“
Die Monotonisierung der Welt (1925), Stefan Zweig (1881-1942)
So wandelt sich der Jüngling zum Mann!
„Wie merkwürdig! Damals in meinen Jünglingsjahren, hatte mich der Anblick von Frauenschönheit mit verzagendem Fremdheitsgefühl erfüllt. Jetzt erfüllte er mich mit verzehrendem Heimatsgefühl.“
Stern der Ungeborenen, Franz Werfel (1890-1945)
Auch wenn sich seit der Biedermeierzeit fast Alles verändert hat, das Phänomen der Erinnerung ist dasselbe geblieben.
„Dennoch ist ihm die Gegend immer lieb und teuer geblieben. Es sind noch Reihen von Jahren vergangen, und wenn auch das Bild, von dem er einstens geglaubt hatte, dass er es mit höchster Glut ewig im Herzen tragen werde, bis zu milder Ruhe ausgebleicht worden war, so sind doch wieder andere dafür in seiner Erinnerung aufgestanden, die er damals nicht beachtet hatte, und die sich jetzt mit sanftem Reize vor seine Seele stellten – sei es nun ein düsterer Föhrenwald, an dessen schwarzen Wurzeln die dunklen Wässer dahin wuschen – sei es ein lieber Fels, der emporragte und auf dem Haupte gesellschaftliche Pflanzen trug – seien es gegen ein Rinnsal herein gehende Birkenwälder die den Fluss einsogen, scheinbar verbargen, und unsichtbar zu den weiteren ebeneren Ländern hinaus leiteten: – oder seien es Menschen und einfache Charaktere, die er dort gekannt, geliebt, bedauert, geachtet hatte. Manches würde mit holdem Reize auf der Tafel des Landschaftsmalers stehen, und mit beschwichtigendem Maße zu der Seele des Beschauers reden, manches würde in dem Munde des Menschenmalers Gestalten erzeugen, die mit Gegenständlichkeit und mit ihrer klaren Einfalt unsere Seele füllen würden. Es ist so mannigfaltiges emporgetaucht, wenn er den Blick in die Vergangenheit richtete, und er hat es gerne und mit Liebe zu den Erinnerungen seiner reiferen Mannesjahre gestellt. Er würde vieles zur Festhaltung in seinem eigenen Angedenken, aus dem im Laufe der Zeiten Gestalten und Erscheinungen so unaufhaltsam fliehen, aufzeichnen, wenn er nicht fürchten müsste, dass die Züge, die so unscheinbar sind, und doch den ganzen Menschen machen, in seinen Händen zergingen, und er nur Schattenlinien bewahrte.
Der Waldgänger, Adalbert Stifter (1805-1868)
Schönheit und Liebe, mit den Augen Robert Musils gesehen.
„Er hätte ebensogut das Gegenteil davon sagen können, dass Kunst Leugnung sei, denn Kunst ist Liebe; indem sie liebt, macht sie schön, und es gibt vielleicht auf der ganzen Welt kein anderes Mittel, ein Ding oder Wesen schön zu machen, als es zu lieben. Und nur weil auch unsere Liebe nur aus Stücken besteht, ist die Schönheit so etwas wie Steigerung und Gegensatz. Und es gibt nur das Meer der Liebe, worin die einer Steigerung nicht mehr fähige Vorstellung der Vollkommenheit und die auf Steigerung beruhende der Schönheit eins sind!“
Der Mann ohne Eigenschaften, Robert Musil (1880-1942)
Eines noch zum Schluss!
„Wie lange sind sie verheiratet? Sechs, sieben, acht Jahre. Das ist eine gefährliche Zeit für Männer, denn das Wertvolle ist schon Gewohnheit und die Gewohnheit noch nicht wertvoll.
Die Gauklerin und der Detektiv, Hans Habe (1911-1977)
Euer Kultur Jack!
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