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B(r)uchstücke der Literatur XXIV – Fremde sind wir auf der Erde alle…

B(r)uchstücke der Literatur XXIV – Fremde sind wir auf der Erde alle…

Anfang der 70er-Jahre wurden die Bücher Philip Roths von den Kritikern sehr ambivalent beurteilt. Manche riss er zu Begeisterungsstürmen hin, andere bezeichneten ihn als literarischen Pornographen. Wenn sich der Leser, trotz des ungeschminkten Seelen-Striptease der Protagonisten, die nötige Distanz zur Erzählung bewahren kann, dann erwartet ihn ein Hochgenuss an Literatur und Philosophie.

Foto: © Eliane Lucina

„Ich blies die duftende Kerzenflamme aus, streckte mich auf das Liegesofa auf der Terrasse und erkannte, dass es keinen großen Unterschied machte, in dunkler Sommernacht einem kaum sichtbaren Murray zu lauschen oder als Kind im Bett Radio zu hören, als Kind, das die Welt verändern wollte, als Kind mit noch nicht erprobten Überzeugungen, die ich im Gewand von Geschichten landesweit ins Radio bringen wollte. Murray, das Radio: Stimmen aus dem Nichts, die alles beherrschen, die Windungen einer Erzählung, die einem durch die Luft ins Ohr schweben, sodass man das Drama nur im Kopf, hinter den Augen wahrnimmt, die Schale des Schädels verwandelt in den grenzenlosen Globus einer Bühne, auf der vollständige Mitmenschen agieren. Wie weit unser Gehör geht! Man stelle sich vor, was es bedeutet, etwas zu verstehen, was man lediglich hört. Das Gehör macht den Menschen Gott ähnlich! Ist es nicht zum Mindesten ein halbgöttliches Phänomen, dass wir kraft nichts Großartigerem, als im Dunkeln zu sitzen und gesprochenen Worten zu lauschen, in die innerste Falschheit einer menschlichen Existenz hineingeschleudert werden können?“
Mein Mann der Kommunist, Philip Roth (1933-2018)

Fritz von Herzmanovsy-Orlando war ein begnadet fantasievoller Erzähler von Geschichten, die an Skurrilität kaum zu überbieten sind. Er beherrschte das Wort in solchem Ausmaß, dass sich in unseren Köpfen recht blumige Vorstellungen des Erzählten entwickeln.

Foto: © ManfredK

„Prunkvolles Sonnenlicht lagerte über Dalmatien. Wie ein Riesenspiegel von Saphir blaute die See, beryllfarbig die Säume an den Küsten, in langen Zügen von schwanenweißen Schaumkronen durchfurcht. Da und dort erhoben sich Inseln, deren Berge und Klüfte purpurne Schatten warfen. Sie gleichen Marmorschnitzereien, eingefasst vom Opalgeäder der Brandung. Ganz leicht vermischte sich der poseidonische Duft des Meeres mit den Wohlgerüchen des Rosmarins und der würzigen Kräuter die auf den Inseln und auf den steilen, hinter dem Küstensaum leuchtenden Alpenmassen wuchsen.“
Scolio Pomo

Leser seiner Bücher werden auch noch mit einem Gut beschenkt, dass nur wenigen Schreibenden gegeben ist: herzhafter Humor!
Der starrte wie verloren in eine Presswurst im Fenster eines Metzgerladens und glaubte im Gewirre des leichenschänderischen Mosaiks bald das verzerrte Gesicht des unglücklichen Zwerges zu sehen, bald das der Verworfenen, der er seinen Namen hatte schenken wollen, bald die Mordszenen in Krems…Schaudernd wandte er sich ab von dem magischen Spiegel aus Sülze und Schwarten, die ihm wie gesottene Seufzer geschundener, kälberner Unschuld erschienen.

 

Eynhuf stand da, verdattert wie ein Hund, dem der Blitz ins Wassernäpfchen geschlagen hat.
                             Der Gaulschreck im Rosennetz, Fritz von Herzmanovsky-Orlando

 

Und was er dann erzählte, ließ den Propheten Jeremias vergleichsweise als Humoristen erscheinen.

 

Die zweite Majestät war von der Fleischbank weggeholt worden und hörte auf den hundsordinären Namen Franz, der ja erst in der Koppelung mit römischen Ziffern etwas gleichschaut.

 

Aber noch Schlimmeres barg sich im Schoße dieser Nacht, denn das Unheil ist paarig wie die Würstel und die Ohrfeigen.
                              Maskenspiel der Genien, Fritz von Herzmanovsky-Orlando (1877-1954)

Viele Leute kennen Henry Miller nur als „Enfant Terrible“ der Literaturgeschichte, mich hat er immer als minutiöser Beobachter des Lebens begeistert.

Foto: © Michael (a.k.a.moik) Mc…

Zufrieden und erfrischt erwachte ich vor den Anderen, ohne mich zu rühren; ich spielte nur wohlig mit den Fingern. Das Durcheinander der Geräusche des Farmhofes war Musik für meine Ohren. Das Rattern und Knarren, das Klirren von Eimern, das Kikeriki, das Getrappel und Getrippel, das Vogelgezwitscher, das Gackern und Grunzen, das Blöken und Wiehern, das Puffpuff einer Lokomotive in der Ferne, das Knirschen harten Schnees, das Schlagen und Stoßen des Windes, eine sich drehende rostige Radachse, ein unter der Säge kreischender Baumstamm, der dumpfe Ton sich mühselig dahinschleppender schwerer Schuhe – alles das vereinigte sich zu einer Harmonie, die meinem Ohr vertraut war. Diese heimeligen alten Laute, diese aus dem Treiben des Alltagsleben geborenen Frühmorgengeräusche, diese Rufe, das Gegacker, die Echos und der Widerhall des Hofes erfüllten mich mit einer erdgebundenen Fröhlichkeit. Ausgehungert und naturentfremdet, wie ich war, vernahm ich wieder das unausdenkbar alte Lied des primitiven Menschen. Das uralte Lied – von Behagen und Überfluss, von dem Leben, wo man es findet, von dem blauen Himmel, von den strömenden Wassern, von Friede und Fröhlichkeit, von Fruchtbarkeit, Wiederauferstehung und einem ewigen, reicheren, überreichen Leben. Ein Lied, das in den Eingeweiden anhebt, die Adern durchdringt, die Glieder und alle Körperteile entspannt. Es war in der Tat gut, lebendig zu sein – und horizontal ausgestreckt dazuliegen.
Der klimatisierte Alptraum, Henry Miller (1891-1980

Eine Sommerwiese ist ein farbenfrohes, bevölkertes, geräuschvolles Erlebnis für alle Sinne. Antonia Byatt hat sie uns, in ihrer ganzen Pracht und Lebendigkeit, für den Winter konserviert.

Foto: © Fred Ernst

„Es war eine Wiese voller Gras und Sommerblumen: blaue Kornblumen, leuchtendrote Mohnblüten, goldgelbe Butterblumen, ein Schleier von Ehrenpreis, ein Muster von Gänseblümchen, wo das Gras niedriger wuchs, Skabiosen, goldene Löwenmäulchen, Margeriten, blasse Konraden, wilde Stiefmütterchen, Bibernellen und Hirtentäschel, und an die Wiese grenzte eine Hecke aus wilder Möhre und Fingerhut, überragt von Heckenrosen, die blass zwischen den dornigen Zweigen und Blättern leuchteten, von süßduftendem Geißblatt, von wildwuchernden Zaunrüben und den dunkeln Blüten des bittersüßen Nachschattens. Alles blühte so üppig, als könnte es nie ein Ende finden. Die Grashalme glänzten smaragdgrün, besprenkelt von diamantenen Lichttupfern. Süß und klar sangen Lerche, Amsel und Drossel, und Schmetterlinge – blau, schwefelgelb, kupferrot und zartweiß – flogen von Blüte zu Blüte, vom Klee zur Wicke zum Rittersporn, geleitet von unsichtbaren violetten Pentagrammen und Spiralen des Lichts, das die Blütenblätter aussandten.“
Besessen, Antonia S. Byatt (geb. 1936)

Den Titel des heutigen Beitrags in unserem Kulturblog spendete Franz Werfel mit diesem Gedicht.

Foto: © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv Austria

Mütter leben, dass sie uns entschwinden,
Und das Haus ist, dass es uns zerfalle,
Selige Blicke, dass sie uns entfliehen.
Selbst der Schlag des Herzens ist geliehen,
Fremde sind wir auf der Erde alle,
Und es stirbt, womit wir uns verbinden.
         Fremde sind wir auf der Erde alle, Franz Werfel (1890-1945)

 

 

 

 

Liebe Leute, mit Literatur, Humor, Philosophie und Poesie Euch den Tag verschönert zu haben, hofft,

Euer Kultur Jack!

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !