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B(r)uchstücke der Literatur XLIII-Reise durch Deutschland

B(r)uchstücke der Literatur XLIII-Reise durch Deutschland

Zehn deutsche Schriftsteller haben den Nobelpreis für Literatur erhalten und einer davon war Thomas Mann. Heute gilt er als einer der bedeutendsten Erzähler des 20.Jahrhunderts.

Foto: © ETH-Bibliothek Zürich

„Seltsame Orte gibt es, seltsame Gehirne, seltsame Regionen des Geistes, hoch und ärmlich. An den Peripherien der Großstädte, dort, wo die Laternen spärlicher werden und die Gendarmen zu zweien gehen, muss man in den Häusern emporsteigen, bis es nicht weiter geht, bis in schräge Dachkammern, wo junge, bleiche Genies, Verbrecher des Traumes, mit verschränkten Armen vor sich hinbrüten, bis in billig und bedeutungsvoll geschmückte Ateliers, wo einsame, empörte und von innen verzehrte Künstler, hungrig und stolz, im Zigarettenqualm mit letzten und wüsten Idealen ringen. Hier ist das Ende, das Eis, die Reinheit und das Nichts. Hier gilt kein Vertrag, kein Zugeständnis, keine Nachsicht, kein Maß und kein Wert. Hier ist die Luft so dünn und so keusch, dass die Miasmen des Lebens hier nicht mehr gedeihen. Hier herrscht der Trotz, die äußerste Konsequenz, das verzweifelt thronende Ich, die Freiheit, der Wahnsinn und der Tod.“
Beim Propheten, Thomas Mann (1875-1955)

An der Liebe des Gärtners zu seinen Kindern hat sich seit der Zeit Goethes nicht viel verändert.

Foto: © Städel Museum Frankfurt

„Wie wohl ist mir´s, dass mein Herz die simple harmlose Wonne des Menschen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er selbst gezogen, und nun nicht den Kohl allein, sondern all die guten Tage, den schönen Morgen, da er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn begoss, und da er an dem fortschreitenden Wachstum seine Freude hatte, alle in einem Augenblicke wieder mitgenießt.“
Die Leiden des jungen Werthers, Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

Hier mal eine Impression aus einem expressionistischen Großstadtroman.

Foto: © Nell Walden

„Freuen wir uns, wenn die Sonne aufgeht und das schöne Licht kommt. Das Gaslicht kann ausgehen, das elektrische. Die Menschen stehen auf, wenn ihr Wecker schnurrt, es hat ein neuer Tag begonnen. Wenn vorher der 8. April war. so ist jetzt der 9., wenn es ein Sonntag war ist jetzt ein Montag. Das Jahr hat sich nicht geändert, der Monat auch nicht, aber es ist eine Änderung eingetreten. Die Welt hat sich weitergewälzt. Die Sonne ist aufgegangen. Es ist nicht sicher, was die Sonne ist. Die Astronomen beschäftigen sich viel mit diesem Körper. Er ist ja, sagen sie, der Zentralkörper unseres Planetensystems, denn unsere Erde ist nur ein kleiner Planet. Und was sind eigentlich wir denn? Wenn so die Sonne aufgeht und man sich freut, sollte man eigentlich betrübt sein, denn was ist man denn, 300 000mal so groß wie die Erde ist die Sonne, und was gibt es alles noch für Zahlen und Nullen, die alle nur sagen, dass wir eine Null sind oder gar nichts, völlig nichts. Eigentlich lächerlich, sich da zu freuen.
Und doch freut man sich, wenn das schöne Licht da ist, weiß und stark und kommt auf den Straßen, in den Zimmern erwachen alle Farben, und die Gesichter sind da, die Züge. Es ist wohlig, Formen zu tasten mit den Händen, aber es ist ein Glück, zu sehen, zu sehen, Farben zu sehen, Linien. Und man freut sich und kann zeigen, was man ist, man tut, man erlebt. Wir freuen uns auch im April über das bisschen Wärme, wie freuen sich die Blumen, dass sie wachsen können. Es muss ein Irrtum, ein Fehler sein in den schrecklichen Zahlen mit den vielen Nullen.
Geh nur auf, Sonne, du erschreckst uns nicht. Die vielen Kilometer sind uns gleichgültig, der Durchmesser, dein Volumen. Warme Sonne, geh nur auf, helles Licht, geh auf. Du bist nicht groß, du bist nicht klein, du bist eine Freude.
Berlin Alexanderplatz, Alfred Döblin (1878-1957)

Das Zeitalter der Romantik war sehr von Gefühlen getragen, und auch wenn es nicht mehr zeitgemäß ist, kann man sich trotzdem von der blumigen Sprache Hoffmanns tragen lassen.

Foto: © Alte Nationalgalerie

„Wie umfängt mich noch wie ein seliger Traum, die Erinnerung an jene glückliche Jugendzeit! – Ach, wie ein fernes Heiliges Land, wo die Freude wohnt und die ungetrübte Heiterkeit des kindlichen unbefangenen Sinnes, liegt die Heimat weit, weit hinter mir, aber wenn ich zurückblicke, da gähnt mir die Kluft entgegen, die mich auf ewig von ihr geschieden. Von heißer Sehnsucht ergriffen, trachte ich immer mehr und mehr, die Geliebten zu erkennen, die ich drüben, wie im Purpurschimmer des Frührots wandelnd, erblicke, ich wähne ihre holden Stimmen zu vernehmen.“
Die Elixiere des Teufels, E.T.A. Hoffmann (1776-1822)

 

Foto: © Roger Eberhard

Interessante Fragen, die Bernhard Schlink an den Leser richtet. Sie sind wert darüber nachzudenken.
„Warum? Warum wird uns was schön war, im Rückblick dadurch brüchig, dass es hässliche Wahrheiten verbarg? Warum vergällt es die Erinnerung an glückliche Ehejahre, wenn sich herausstellt, dass der andere die ganzen Jahre einen Geliebten hatte? Weil man in einer solchen Lage nicht glücklich sein kann? Aber man war glücklich! Manchmal hält die Erinnerung dem Glück schon dann die Treue nicht, wenn das Ende schmerzlich war. Weil Glück nur stimmt, wenn es ewig hält? Weil schmerzlich nur enden kann, was schmerzlich gewesen ist, unbewusst und unerkannt? Aber was ist unbewusster und unbekannter Schmerz?“
Der Vorleser, Bernhard Schlink (geb.1944)

Ich habe Heine erst vor zwei Jahren zum ersten Mal gelesen und seine Sprache hat mich bezaubert. Hier etwas Humorvolles von ihm.

Foto: © The Bridgeman Art Library

„Dieser Herr war ganz grün gekleidet, trug sogar eine grüne Brille, die auf seine rote Kupfernase einen Schein wie Grünspan warf, und sah aus, wie der König Nebukadnezar in seinen späteren Jahren ausgesehen hat, als er, der Sage nach, gleich einem Tiere des Waldes, nichts als Salat aß. Der Grüne wünschte, dass ich ihm ein Hotel in Göttingen empfehlen möchte, und ich riet ihm, dort von dem ersten besten Studenten das Hotel de Brühbach zu erfragen. Die eine Dame war die Frau Gemahlin, eine gar große, weitläufige Dame, ein rotes Quadratmeilengesicht mit Grübchen in den Wagen, die wie Spucknäpfe für Liebesgötter aussahen. Ein langfleischig herabhängendes Unterkinn, das eine schlechte Fortsetzung des Gesichtes zu sein schien, und ein hochaufgestapelter Busen, der mit steifen Spitzen und vielzackig festtonnierten Krägen wie Türmchen und Bastionen umbaut war und einer Festung glich, die gewiss ebenso wenig wie jene anderen Festungen, von denen Philipp von Macedonien spricht, einem mit Gold beladenen Esel widerstehen würde. Die andere Dame, die Frau Schwester, bildete ganz den Gegensatz der eben beschriebenen. Stammte jene von Pharaos fetten Kühen, so stammte diese von den mageren. Das Gesicht nur ein Mund zwischen zwei Ohren, die Brust trostlos öde, wie die Lüneburger Heide; die ganze ausgekochte Gestalt glich einem Freitisch für arme Theologen.“
Die Harzreise, Heinrich Heine (1797-1856)

Anderen Nationen erscheint die deutsche Sprache oft sehr hart und das mag vielleicht auch stimmen, jedoch wenn sie der Poet spricht kann sie betörend sein.
Euer Kultur Jack!

Copyright Beitragsbild: Pixabay

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !