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B(r)uchstücke der Literatur LV – Geist und Seele

B(r)uchstücke der Literatur LV – Geist und Seele

Die besten Philosophien im Leben wurden wahrscheinlich durch eine Kombination aus Logik des Geistes und Erkenntnisse der Seele gebildet. Schriftsteller gaben uns die Möglichkeit, ihre gewonnenen Einsichten in unser Weltbild mit einzubeziehen oder zu verwerfen.
Henry Thoreau lebte zwei Jahre allein, in einer selbst gebauten Holzhütte, an einem Waldsee. Er war der erste Aussteiger der Geschichte, der seine Erfahrung literarisch zu Papier brachte.

Foto: © Library of Congress

„Ich lasse meinem Leben gern einen weiten Spielraum. Im Sommer saß ich mitunter nach dem gewohnten Bad von morgens bis mittags traumversunken zwischen Kiefern, Hickory – und Sumachbäumen in ungestörter Einsamkeit und Stille vor meiner Tür in der Sonne. Die Vögel um mich herum sangen oder huschten geräuschlos durch das Haus, bis mir die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster fielen, oder ein Wagen auf der fernen Landstraße das Vergehen der Zeit zum Bewusstsein brachten. In solchen Stunden richtete ich mich auf wie der Mais über Nacht. Sie waren weit wertvoller als jede körperliche Arbeit. Sie bedeuteten keine Verringerung meiner Lebenszeit, sondern gingen weit über das mir eingeräumte Maß hinaus. Ich begriff, was die Orientalen mit Kontemplation und Niederlegung der Arbeit beabsichtigen. Meistens merkte ich gar nicht, wie die Stunden vergingen. Der Tag rückte vor, als wollte er meinem Werk leuchten; eben erst war es Morgen – und sieh! Schon war es Abend und nichts Nennenswertes vollbracht. Statt wie die Vögel zu singen, hatte ich still und glücklich vor mich hingelächelt. So wie ich den Sperling im Hickorybaum vor meiner Tür zwitschern hörte, mochte er aus meinem Nest mein Glucksen und unterdrücktes Trillern hören. Meine Tage waren nicht gewöhnliche Wochentage, sie standen nicht im Zeichen einer heidnischen Gottheit, waren nicht in Stunden zerteilt und vom Ticken der Uhr zerrissen. Ich lebte wie die Puri – Indianer, von denen es heißt, sie hätten für gestern, heute und morgen nur ein einziges Wort und drückten den Unterschied in der Bedeutung dadurch aus, dass sie für gestern nach hinten, für morgen nach vorn und für heute in die Höhe deuten. Sicher sahen meine Mitbürger in solchem (Nichts-)Tun nichts als pure Faulheit; wenn aber Blumen und Vögel mich nach ihrem Maß gemessen hätten, würde ich wohl bestanden haben. Der Mensch muss, was er braucht, in sich selber suchen, das steht fest. Ein Tag in der Natur ist sehr still, er wird sich seine Trägheit kaum zum Vorwurf machen.“
Walden, Henry David Thoreau (1817-1862)

Vincent van Gogh war ein Lehrbeispiel eines Menschen, der zwischen Geist und Seele zerrieben wurde.

Selbstbildnis, Foto: © mwF3N6F_RfJ4_w at Google Cultural Institute

„Dann gibt es den anderen Nichtstuer, den Nichtstuer wider Willen, der innerlich von einem heftigen Wusch nach Tätigkeit verzehrt wird, der nichts tut, weil es ihm völlig unmöglich ist, etwas zu tun, weil er wie in einem Gefängnis sitzt, weil er nicht hat, was er braucht, um produktiv zu sein, weil es sein Missgeschick so gefügt hat, dass es mit ihm so weit gekommen ist; ein solcher Mensch weiß manchmal selbst nicht, was er tun könnte, aber er fühlt instinktiv: ich bin doch zu irgendetwas gut, ich habe eine Daseinsberechtigung! Ich weiß, dass ich ein ganz anderer Mensch sein könnte! Wozu nur könnte ich taugen, wozu könnte ich dienen! Es ist etwas in mir, was ist es nur!
Das ist ein ganz anderer Nichtstuer- du kannst, wenn du meinst, mich für so einen halten!…
Ein Vogel im Käfig weiß im Frühling sehr wohl, dass es etwas gibt, wozu er taugt, weiß sehr wohl, dass er etwas zu tun hat, aber er kann es nicht tun, was ist es doch? Er kann sich nicht recht erinnern, dann kommen ihm unbestimmte Vorstellungen, er sagt sich-„die anderen bauen Nester und zeugen Junge und ziehen die Brut groß“, dann prallt er mit dem Kopf an die Stäbe seines Käfigs. Und der Käfig bleibt, und der Vogel ist wahnsinnig vor Schmerz…“
Briefe an Theo van Gogh, Vincent van Gogh (1853-1890)

Oscar Wilde wurde wegen „homosexueller Unzucht“ zu zwei Jahren Zuchthaus mit Zwangsarbeit verurteilt. Diese zwei Jahre ruinierten die Gesundheit seines Körpers und zerbrachen ihn als Menschen.

Foto: © eypress.co.uk

„Ich zittere vor Freude bei dem Gedanken, dass an dem Tag, an dem ich das Gefängnis verlasse, Goldregen und Flieder in den Gärten blühen werden und dass ich sehen werde, wie der Wind das schwanke Gold des einen zu bebender Schönheit erregen wird und vom anderen den blassen Purpur seiner Blütenbüschel zaust, so dass die ganze Luft für mich die Düfte Arabiens haucht. Linné fiel auf die Knie und weinte vor Freude, als er zum ersten Mal die weite Heide eines englischen Hochlands im Gelb der würzigen Ginsterblüten auflohen sah, und ich weiß, dass auf mich, dem Blumen Gegenstand des Sehnens sind, im Blütenkelch einer Rose Tränen warten. Seit meinen Knabenjahren war das so. Es gibt keine Farbnuance, und sei sie noch so tief im Kelch einer Blume, in der Höhlung einer Muschel versteckt, auf die meine Natur nicht anspräche, dank ihres subtilen Mitgefühls mit der Seele aller Dinge.“
Ein Brief aus dem Zuchthaus zu Reading, De Profundis, Oscar Wilde (1854-1900)

Viele Leser sehen Henry Miller als obszönen Provokateur, doch er sprach nur unverblümt. Seine Stärke war sein Geist und die daraus resultierende Philosophie.

Foto: © Monozigote

„Das größte Wunder ist die Entdeckung, dass alles wunderbar ist. Und das Wesen des Wunderbaren ist – schiere Einfachheit. Nichts wird gewonnen durch Schweiß und Mühe, durch Überlegungen, Hingabe, Gebet, Beharrlichkeit, Geduld, Standhaftigkeit – oder Trägheit, um das auch noch hinzuzufügen. Man stelle sich vor, die Planeten hielten inne, um sich über ihre Umläufe klar zu werden! Man stelle sich vor, sie bemühten sich, ihre feurigen Bahnen zu verändern! Denken- was für ein Laster! Sich mühen – welche Absurdität! zu wissen ist so leicht, so schmerzlos. Der Grund für jede Art von Wachstum und Kultivierung wird vorbereitet durch das Brachliegen.“
Schweb still wie der Kolibri, Henry Miller (1891-1980)

Wiederholte Erfahrungen im Leben runden unsere Weltsicht ab.

Foto: © Yle, Tesvisio

„Die Erfahrung hat mich gelehrt, eine Entscheidung für spätere Erwägung aufzuschieben. Wenn ich dann eine gewisse Zeit habe vergehen lassen, ohne das Problem ins Auge zu fassen, fand ich es auf einmal eines schönen Tages beendigt, gelöst, das Urteil gefällt. Das dürfte bei jedermann so sein, aber ich bin nicht imstande, mich darüber zu vergewissern. Es ist so, als ob in den dunklen, verlassenen Höhlen der Seele ein unkenntliches Gericht zusammengetreten sei und die Entscheidung gefällt habe. Dieses verborgene, schlaflose Gebiet in mir habe ich mir immer vorgestellt als ein schwarzes, tiefes, wellenloses Gewässer, einen Zeugungsort, von dem nur wenige Gestaltungen je zur Oberfläche gelangen. Oder es ist vielleicht eine große Bibliothek, worin alles aufgezeichnet liegt, was sich mit Lebewesen jemals ereignet hat, bis hinunter zum ersten Augenblick, da sie zu leben begannen.
Gewisse Menschen, nehme ich an, haben näheren Zugang zu diesem Ort als andere. Poeten, zum Beispiel. Als ich einmal eine Marschorder, aber keinen Wecker hatte, dachte ich mir ein Verfahren aus, um ein Signal abzulassen und Antwort zu erhalten. Wenn ich nachts im Bett lag, stellte ich mir vor, ich stünde am Rande des schwarzen Gewässers und hielte einen weißen Stein in der Hand, einen kreisrunden Stein. Auf diesen schreibe ich mit kohlschwarzen Buchstaben „vier Uhr“, ließe ihn dann ins Wasser fallen, sähe zu, wie er, immer sich drehend, sänke, bis er verschwunden war. Das bewährte sich: um vier Uhr auf die Sekunde erwachte ich. Später brachte ich es damit so weit, dass ich mich zehn Minuten vor oder ein Viertel nach vier wecken lassen konnte. Und es hat nie versagt.“
Geld bringt Geld, John Steinbeck (1902-1968)

Wenn Schriftsteller und Poeten ihre persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen öffentlich machen, kann sie der passende Empfänger als Möglichkeit und Geschenk empfinden.
Euer Kultur Jack!

Beitragsbild: Pixabay

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !