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B(r)uchstücke der Literatur LVII – Der Blick in die Natur

B(r)uchstücke der Literatur LVII – Der Blick in die Natur

Mannigfaltig sind die die Gründe, warum Menschen zur Feder greifen, und Schriftsteller werden. Noch vielfältiger sind jedoch die Themen, die sie zum Inhalt ihrer Geschichten machen. Es gibt aber eine Sphäre, die selten der hauptsächliche Stoff eines Buches ist, trotzdem in sehr vielen Erzählungen Raum findet, und von allen Menschen geliebt und bewundert wird: Die Natur und ihre bezaubernden Erscheinungsformen.

Das Auge des Künstlers.

John Ruskin, Foto: © Neil Cummings

„Nehmen wir an, zwei Menschen unternehmen einen Spaziergang: der eine ein guter Zeichner, der andere solchem Tun gänzlich abgeneigt. Nehmen wir weiter an, sie gehen im Grünen einen Weg entlang. Es wird einen großen Unterschied geben, wie sich der Schauplatz diesen beiden Individuen darbietet. Der eine wird einen Weg sehen und Bäume; er wird wahrnehmen, dass die Bäume grün sind, sich aber nichts dabei denken, er wird sehen, dass die Sonne scheint und dass das etwas Heiteres hat – und das war´s dann! Was aber wird der Zeichner sehen? Sein Auge ist geschult darin, nach den Quellen des Schönen zu suchen und dem Ansprechenden bis ins feinste Detail zu folgen. Er hebt den Blick und gewahrt, dass der fraktionierte Sonnenschein regengleich zwischen den glänzenden Blättern über ihm versprüht wird und die Luft von smaragdgrünem Licht erfüllt ist. Er wird hier und da hinter dem Vorhang der Blätter einen Ast sehen, er wird die funkelnde Helle des smaragdgrünen Mooses und die buntgefleckten, fantastischen Flechten sehen, weiß und blau, lila und rot, alle verwoben und vermengt zu einem einzigen Gewand aus Schönheit. Dann kommen die rissigen Stämme und das Geflecht der Wurzeln, die sich, schlangengleich geringelt, in die steile Böschung bohren, an deren Hang Blumen in tausend Farben in den Rasen eingelegt sind. Ist das denn nicht sehenswert? Doch wenn einer kein Zeichner ist, wird er den Weg durchs Grüne entlanggehen und wenn er heimgekehrt ist, nichts darüber zu sagen wissen und nichts bei sich zu bedenken haben, als dass er diesen und jenen Weg gegangen ist.“
John Ruskin (1819-1900)

Der Romantiker und die Natur.
„Aus dem tiefsten Schatten des dunklen Gebüsches, das den Kindern gegenüberlag, blickte ein wundersamer Schein, der wie sanfter Mondesstrahl über die vor Wonne zitternden Blätter gaukelte, und durch das Säuseln des Waldes ging ein süßes Getön, wie wenn der Wind über Harfen hinstreift und im Liebkosen die schlummernden Akkorde weckt.“
Die Serapionsbrüder, E. T. A. Hoffmann (1776-1822)

E.T.A. Hoffmann Foto: © Alte National Galerie

Die Beobachtung eines seltenen Insekts.

„Ein goldener Funke blitzte im Gebüsch auf und schwebte erlöschend und aufglühend dahin. Und noch mehr Funken sprühten in der Tiefe des Gartens auf und schwirrten in wirrem Fluge umher: Leuchtkäfer – wurden in dieser Nacht geboren, glühten auf und suchten. Lockten die reifen, üppigen, fliegenden Weibchen an sich, in Feuern spielend. Suchten stoßweise, in die Schatten, unter die Blätter und Zweige lugend, und erloschen in den milchigen Lichtstreifen. Schreckhaft und gierig. So verwirrten sie ihre Feuerwege, bald sich verbergend, bald wieder aufleuchtend, wie kleine Blitze spielend.“
Liebe in der Krim, Iwan Schmeljow (1873-1959)

Iwan Schmeljow, Foto: © Русский парижанин: Фотографии Петра Шумова. М.: Русский путь, 2000

Der duftende Morgen.
„Der schwere süße Duft der Heuschober wehte zu seinem Fenster empor, die hundert Wohlgerüche des kleinen Blumengartens unter dem Fenster erfüllten die Luft um ihn her, die tiefgrünen Wiesen blitzten Im Morgentau, der auf jedem Blatt glitzerte, das der sanfte Wind erzittern ließ, und die Vögel sangen, als wäre jeder dieser kleinen funkelnden Tautropfen für sie ein Brunnen der Begeisterung. Mr. Pickwick erlag einer verzaubernden und köstlichen Träumerei.“
Die Pickwickier, Charles Dickens (1812-1870)

Charles Dickens, Foto: © flickr.com

Der Mensch als Entdecker der Natur.

Antonia S. Byatt, Foto: © Flickr Stream

„Im Urwald dachte ich ständig an Linné. Er hat die Neue Welt so unauflöslich mit unserer Vorstellung von der Alten verbunden, indem er die Schwalbenschwänze nach griechischen und trojanischen Heroen und die Helikoniden nach den Musen benannte. Ich befand mich in Ländern, die kein Fuß eines Engländers je betreten hatte, und um mich herum flatterten Helena und Menelaos, Apoll und die neun Musen, Hektor und Hekuba und Priamos. Die Phantasie des Wissenschaftlers hatte den unberührten Dschungel gezähmt, bevor ich ihn betrat. Das Benennen einer Spezies hat etwas Wunderbares. Etwas, was wild ist, selten und bisher unbekannt war, menschlicher Beobachtung und menschlicher Sprache zu unterwerfen – und in Linnés Fall mit so viel Geist und Ordnung, mit solch farbiger Verwendung unserer ererbten Mythen, Legenden und Figuren. Er wollte Achrontia atropos eigentlich Caput motuum nennen.“
Die Verwandlung des Schmetterlings, Antonia S. Byatt (geb.1936)

Licht und Farben der Welt

Max Brod, Foto: © proxy.handle.net

„Lichtfarbige luftige Welt des Vorfrühlings, in die nur ferne, blaue Waldsäume als das einzige Dunkle und Fremde hineinreichten! Die Beleuchtung wechselte, war bald grell, doch ohne Gewitterhitze, junge Pappeln wie einen gelblichen, durchsichtigen Flor durchstrahlend; bald erschienen die Hügel verfinstert und mit kurzen Wolkenschatten falsch modelliert. Dumpf ergriffen blieb Viktor vor einem jungen Felde stehen, dessen grüne, noch ganz kurze Halme wie Gras aussahen, eine schüttere Wiese, aber in sorgfältigen, langen Reihen angepflanzt. Die freien Halme kribbelten wohlig, alles spielte im Wind. Der hellviolette Schatten eines Obstbaumes war deutlich über das Feld hingezeichnet, nun fauchte der Wind stärker, eine Wolke machte das Grün dunkel und verwischte den Schatten; Viktor aber hatte Augen, Ohren und Mund so voll von Wind, dass es ihm vorkam, als habe er selbst den Schatten weggeblasen. Durch ihn hindurch schien die Sonne, wehte Luft, wuchs Korn. Da wurde ihm übermütig zu Sinne, er übersprang den Straßengraben und war mit zwei Schritten auf die Landstraße, dann wieder die Böschung zum Feldweg emporgeklettert. Bei allem Jubel aber war auch sein Kopf tätiger als je in der Stadt. Nichts entging ihm, er prüfte den Stand der Saat und überschlug die voraussichtliche Ernte jedes Feldes, an seiner ruhevollen Beobachtung hatten noch die fern zusammengedrängten Kalkmauern eines Dorfes, ja ein Häuschen Anteil, das mit dem halben rosa Dach irgendwo hinter einem Hügel hervorguckte. Und die blühenden Bäume an der Straße, andere noch nackt wie Stangen, an andere Stangen gebunden, viele schon mit kleinen, hellgrünen Blättchen, all dies Versprengte, Punktierte, Nicht – Zusammengeschlossene, Unentwickelte, fast Unkörperliche, Durchlässige führte seinen Geist wieder zu den weißen Wolken zurück, die da oben selig im Sturmwind prangten und unter dem Kriegsruf aufsteigender Lerchen in Stücke zerstäubt wurden.“
Ein Junge vom Land, Max Brod (1884-1968)

Schönheit mit den Augen zu erfassen, ist sehr vielen gegeben, sie auch kommunizieren zu können, liegt in der Kunst der Schreibenden und Poeten.
Euer Kultur Jack!

Beitragsbild: Pixabay

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !