B(r)uchstücke III
Liebe Leute, manchmal ist man doch davon berührt, wenn Menschen, denen der Exzess im Leben ein stetiger Begleiter ist, trotzdem immer noch die geistige Feinheit besitzen, sich über ein verbrennendes Stück Papier, mehrzeilige Gedanken zu machen.
Nur der Barmann, der zunächst protestieren zu wollen schien, wandte sich gleichgültig ab, als M. Laruelle das sich krümmende Papier in den Aschenbecher fallen ließ, wo es sich schön fügsam zusammenfaltete, wie eine brennende Burg einstürzte und zu einem knisternden Bienenstock zusammensank, durch den Funken wie kleine rote Würmer krabbelten und flogen, während darüber in dem dünnen Rauch ein paar graue Aschenflöckchen schwebten, eine leise raschelnde, tote Hülse jetzt…
Unter dem Vulkan ( Malcom Lowry 1909-1957)
Interessante, und auch sehr schön formulierte Gedanken, über den Wert des Menschen im Leben, wie im Tod, von Michael Cunningham. Übrigens wer den Film zu dem Buch noch nie gesehen hat – eine schwere Empfehlung!
Draußen im Garten ist der schattige Grashügel mit der Drossel auf ihrem Totenbett, von den Hecken geschützt. Ein starker Ostwind ist aufgekommen und Virginia erschauert. Es kommt ihr vor, als habe sie das Haus verlassen ( wo der Rinderbraten schmort, wo die Lampen brennen ) und sei ins Reich des toten Vogels eingedrungen. Sie denkt daran, dass die frisch Begrabenen die ganze Nacht in ihren Gräbern bleiben, nachdem die Trauergäste Gebete gesprochen, Kränze niedergelegt haben und ins Dorf zurückgekehrt sind. Nachdem die Räder über den trockenen Lehm auf der Straße davon gerollt sind, nachdem das Abendessen verzehrt ist und die Bettdecken zurückgeschlagen sind; das Grab bleibt, nachdem all das geschehen ist, und an den Blumen zaust leicht der Wind. Es ist erschreckend, aber nicht völlig unangenehm, dieses Friedhofsgefühl. Es ist real, es ist beinahe überwältigend real. Es ist auf seine Weise im Augenblick erträglicher, edler als der Rinderbraten und die Lampen. Sie steigt die Treppe hinab und geht hinaus in den Garten.
Der Leichnam der Drossel ist noch immer da ( komisch, dass sich die Katzen und Hunde in der Nachbarschaft nicht dafür interessieren ), winzig selbst für einen Vogel, so völlig leblos, hier im Dunkeln, wie ein verlorener Handschuh, diese kleine, leere Handvoll Tod. Virginia bleibt davor stehen. Die Drossel ist jetzt Unrat; sie hat die Schönheit des Nachmittags verloren, so wie Virginia das Staunen über Tassen und Dufflecoats, das sie am Teetisch erfüllte, verloren hat; so wie der Tag seine Wärme verliert. Am Morgen wird Leonard den Vogel, das Gras und die Rosen auf eine Schaufel laden und alles wegwerfen. Sie muss daran denken wie viel mehr Raum ein Wesen im Leben beansprucht als im Tod; wie viel Illusion von Größe in Gesten und Bewegung liegt, im Atmen. Im Tod werden unsere wahren Ausmaße offenbar, und die sind erstaunlich bescheiden. War es ihr nicht vorgekommen, als wäre ihre Mutter heimlich fortgebracht und durch ein kleineres Abbild aus fahlem Eisen ersetzt worden? Hatte sie, Virginia, nicht in sich einen leeren Raum gefühlt, überraschend klein, wo vermeintlich starke Empfindungen beheimatet sein sollten?
Hier also ist die Welt ( das Haus, der Himmel, der erste zaghafte Stern ), und hier ist das Gegenteil, diese kleine, dunkle Gestalt in einem Kreis aus Rosen. Es ist Abfall, das ist alles. Schönheit und Würde waren Illusionen, gefördert durch das Beisammensein mit Kindern, aufrechterhalten zum Wohle der Kinder.
The Hours (Michael Cunningham geb.1952)
Blitzlichter von zwei Schwergewichten der amerikanischen Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Das Mädchen war schlank und zart, das Haar aschblond unter dem Mond und golden unter dem sprühenden Licht der Gaslaternen am Portal. Sie hatte ihre Schultern in eine spanische Mantille von feinstem Gelb mit schwarzen Schmetterlingen gehüllt, ihre Füße hingen wie glitzernde Knöpfe am Saum des Kleides.
Der seltsame Fall des Benjamin Button (F. Scott Fitzgerald 1896-1940)
Sein Name zog in das Pfarrhaus ein. Meine Schwester, diese fremde junge Dame, die sich bereitgefunden hatte, mit uns zusammenzuleben, führte ihn ständig im Munde. Eine merkwürdige Leichtigkeit nahm dieser Name an, wenn sie ihn aussprach. Ihre Lippen ließen ihn nicht fallen, er schien sich vielmehr von ihnen zu lösen. Kaum ausgesprochen, schwebte er auf und schwamm schimmernd dahin, er hüllte sich in einen Hauch funkelnder Farben, etwa so wie die Seifenblasen, die wir im Sommer von der sonnigen Treppe hinterm Haus aufsteigen ließen. Sie hoben sich in die Luft und schwammen dahin, und es geschah, dass sie zersprangen, aber niemals, bevor nicht andere Seifenblasen sie hinschwimmend angerührt hatten. Sie waren aus Gold, und der Name Richard leuchtete ebenfalls golden. Der Nachname Miles gab einem den Eindruck von Ferne; Richard war also etwas, das strahlte und gleichzeitig fern war.
So gleichen sich Geigenkasten und Sarg (Tennessee Williams 1911-1983)
Erstaunlich:
Wenn das ganze Universum hohl wäre, wie viele Murmeln bräuchte man dann um es zu füllen? Es ist eine dieser Fragen, die einen einfach nicht mehr loslassen. Und es ist eine Frage von sehr viel größerer Tragweite, als sie vielleicht annehmen. Wenn nämlich die Erde in sich zusammenstürzen und den Zustand eines Schwarzen Loches erreichen würde, nähme sie genau das Volumen einer Murmel ein. Wie viele Murmeln würde man also brauchen um den Kosmos zu füllen? Die Antwort lautet : 224 900 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 ! Dabei unterstellen wir, das Universum würde unmittelbar beim letzten derzeit entdeckten Quasar enden, was unwahrscheinlich ist. Somit bräuchte keine noch so leistungsfähige Murmelfabrik zu befürchten, jemals zu wenig Lagerraum zur Verfügung zu haben, selbst wenn das Personal Überstunden machen würde.
Doch auch wenn sie nichts anderes täten. als das Universum mit Murmeln vollzustopfen und sie es irgendwie schaffen würden, in jeder Billionstelsekunde eine Billion Murmeln herzustellen, und wenn sie dann über eine Billion Fabriken verfügten, von denen jede diese Menge fabrizieren könnte, und diese manische Veranstaltung weiterhin auf allen Sternen aller Galaxien durchführen würden, würde es immer noch 7 131 500 000 000 Jahre dauern, einige hundertmal länger, als das Universum bisher existiert. Natürlich wären sie unterdessen niemals in der Lage, mit der Expansion des Universums Schritt zu halten.
Die Wunder des Nachthimmels ( Bob Berman, Astronom)
Der letzte Auszug hat zwar in einem Literaturblog nichts verloren, ist aber ein interessantes Zahlenspiel, findet
Euer Kultur Jack.