Seite auswählen

B(r)uchstücke der Literatur XXVIII – Tag und Nacht

B(r)uchstücke der Literatur XXVIII – Tag und Nacht

Tag und Nacht

Es sind schon sehr unterschiedliche Reize, die die jeweiligen 12 Stunden uns zu bieten haben. Für Schriftsteller und Poeten war es immer eine Freude und Herausforderung uns das Strahlende des Tages oder das Mystische der Nacht fühlbar, durch Worte, zu vermitteln. Dann lesen wir mal wie sie das gelöst haben.

„Ich bestieg Hügel und Berge, betrachtete, wie die Sonne den Nebel zu verscheuchen suchte, wanderte freudig durch die schauernden Wälder, und um mein träumendes Haupt klingelten die Glockenblümchen von Goslar. In ihren weißen Nachtmänteln standen die Berge, die Tannen rüttelten sich den Schlaf aus den Gliedern, der frische Morgenwind frisierte ihnen die herabhängenden, grünen Haare, die Vöglein hielten Betstunde, das Wiesental blitzte wie eine diamantenbesäte Golddecke, und der Hirt schritt darüber hin mit seiner läutenden Herde.“
Die Harzreise, Heinrich Heine (1797-1856)

 

Als keine Lampen mehr brannten, der Mond untergegangen war und ein dünner Regen auf das Dach trommelte, strömte unendliche Finsternis hernieder. Nichts, so schien es, konnte dieser Flut, dieser Sintflut aus Finsternis entrinnen, die durch Schlüssellöcher und Fugen kroch, sich um Vorhänge stahl, in die Schlafzimmer schlich, hier einen Krug und ein Waschbecken verschlang, da eine Schale mit roten und gelben Dahlien, dort die scharfen Kanten und den massigen Rumpf einer Kommode. Aber nicht nur die Möbel gingen darin unter; es blieb kaum irgendwo von Körper und Geist genug übrig, dass man hätte sagen können „das ist er“ oder „das ist sie“. Zuweilen hob sich eine Hand, als wollte sie nach etwas greifen oder etwas abwehren, oder jemand stöhnte, oder jemand lachte laut, als hätte er seinen Spaß mit dem Nichts.
Nichts rührte sich im Wohnzimmer, nichts im Esszimmer, nichts im Treppenhaus. Nur durch rostige Türangeln und verquollenes, seewasserfeuchtes Holzwerk (das Haus war ja ziemlich baufällig) strichen schwache Lüfte, gleichsam abgespalten vom großen Wind, schlichen um die Ecken und drangen ins Haus. Fast hätte man sich vorstellen können, wie sie neugierig und forschend ins Wohnzimmer kamen, mit den hängenden Tapetenfetzen spielten und fragten, ob sie noch lange hängen und ob sie fallen würden. Leicht über die Wände streichend, setzten sie nachdenklich ihren Weg fort, als fragten sie die roten und gelben Rosen der Tapete, ob sie verbleichen würden, und nahmen sich (freundlich, denn es fehlte ihnen ja nicht an Zeit) die zerrissenen Briefe im Papierkorb vor, die Blumen, die Bücher, die ihnen nun allesamt preisgegeben waren, und fragten: Waren sie Bundesgenossen? Waren sie Feinde? Wieviel Lebensdauer war ihnen bestimmt?
Nun stiegen die Lüftchen die Treppe hinauf, vom zufälligen Licht eines unverhüllten Sterns, eines vorüberfahrenden Schiffs oder vielleicht auch des Leuchtturms geleitet, das schwach auf Stufen und Matte fiel; sie erklommen die Treppe und witterten an Schlafzimmertüren. Hier aber mussten sie Einhalt tun. Was immer auch vergehen und verschwinden mag – was hier liegt, hat Bestand. Hier hätte man zu den gleitenden Lichtern und den tastenden Lüften, die sich sogar über das Bett beugen und flüstern, sagen können: Hier könnt ihr nichts berühren und nichts zerstören. Worauf sie verdrießlich und geisterhaft, als hätten sie federleichte Finger, aber die sanfte Beharrlichkeit der Federn, auf die geschlossenen Augen und die lose gefalteten Finger blicken, verdrießlich ihre Gewänder raffen und verschwinden würden. Witternd und streifend glitten sie zum Fenster in Treppenhaus, zu den Schlafkammern der Dienstboten, zu den Koffern im Dachboden; sie stiegen wieder nach unten und bleichten die Äpfel auf dem Esszimmertisch, betasteten die Blütenblätter der Rosen, untersuchten das Bild auf der Staffelei, strichen über die Matte hin und bliesen ein bisschen Sand über den Fußboden. Schließlich ließen sie alle ab, sammelten sich, seufzten alle gemeinsam, alle miteinander stießen einen grundlosen Klagelaut aus, worauf eine Tür in der Küche antwortete, weit aufschwang, nichts hereinließ und ins Schloss fiel.
Die Fahrt zum Leuchtturm, Virginia Woolf (1882-1941)

 

Die Stadt sah freundlich aus im Morgenlicht; Plätze die während der ganzen Nacht hässlich und verdächtig wirkten, schienen nun zu lächeln; funkelnde Sonnenstrahlen tanzten auf den Kammerfenstern und blinzelnden durch die Jalousien und Gardinen, die das Auge des Schläfers schützten; sie gossen ihm sogar in seine Träume Licht und verjagten die Schatten der Nacht. Vögel in stickigen Zimmern, unter dunklen, dichten Decken, spürten, dass es Morgen war und regten sich unruhig in ihren kleinen Käfigen; Mäuslein mit blanken Augen schlüpften in ihre Nestchen zurück und schmiegten sich schüchtern aneinander; die rundliche Hauskatze vergaß ihre Beute und saß blinzelnd in den Sonnenstrahlen die durch die Schlüssellöcher und Ritzen der Tür drangen, und sehnte sich nach einem tüchtigen Auslauf und einem warmen Plätzchen zum Sonnen im Freien. Die edleren Tiere, in den Bergwerken eingesperrt, standen regungslos hinter ihren Barrieren und starrten durch winzige Fenster auf ein paar schwankende Zweige und den Sonnenschein, mit Augen, in denen die alten Wälder schimmerten – und dann trotteten sie ungeduldig den Pfad entlang, den ihre gefesselten Füße ausgetreten hatten, blieben stehen und schauten sich um. Menschen im Kerker streckten ihre verkrampften, kalten Glieder und verfluchten den Stein, den der hellste Himmel nicht erwärmen konnte. Blumen, die nachts geschlafen hatten, öffneten die sanften Augen und wandten sich dem Licht zu, dem Licht, der Seele der Schöpfung, das überall war und dessen Macht sich alle lebenden Dinge unterwarfen.
Der Raritätenladen, Charles Dickens (1812-1870)

 

Wenn das Wetter nicht schlecht und die Nacht klar ist, verbringe ich jeden Abend vor dem Schlafengehen fünfzehn bis zwanzig Minuten auf der Terrasse und beobachte den Himmel, oder ich nehme eine Taschenlampe und taste mich den schmalen Weg zu der offenen Weide auf dem Gipfel meines Hügels empor, von wo aus ich, oberhalb der Bäume, das gesamte himmlische Inventar betrachten kann, Sterne wohin das Auge blickt, erst diese Woche die Planeten Jupiter im Osten und Mars im Westen. Es ist unglaublich und doch eine Tatsache, eine schlichte und unbestreitbare Tatsache: dass wir geboren sind und dass es das gibt. Ich kann mir Schlimmeres vorstellen, wie ich meinen Tag beenden könnte.
Mein Mann der Kommunist, Philip Roth (1933-2018)

 

Der Reflex der Nachmittagssonne, ein blendendweißer Diamant, zitterte in tausend Regenbogenstacheln auf dem runden Dach eines geparkten Autos.
Lolita, Vladimir Nabokov (1899-1977)

 

Rührung überfällt uns in der klaren Nachtluft, wenn die Sehnsucht aus den blauen Gründen zu uns kommt und am Fenster der Pfiff einer weiterrollenden Lokomotive hängen bleibt, auf dem Bürgersteig gegenüber liebesdurstig eine Katze schleicht, in einem Kellerfenster verschwindet, hinter dem der Kater lauert. Groß und sternenreich ist der Himmel über uns, zu hoch, um gütig zu sein, zu schön, um nicht einen Gott zu enthalten. Die nahen Kleinigkeiten und die ferne Ewigkeit haben einen Zusammenhang, und wir wissen nicht, welchen. Vielleicht wüssten wir ihn, wenn die Liebe zu uns käme; sie ist mit den Sternen verwandt und mit dem Schleichen der Katze, mit dem Pfiff der Sehnsucht und der Größe des Himmels.
Der blinde Spiegel, Joseph Roth (1894-1939)

 

Liebe Leute, da unsere heutigen Poeten alle das gleiche, sich selbsterklärende, Thema behandeln, habe ich Zwischenbemerkungen weggelassen. Jedoch müsste ich mich entscheiden, welche der beiden Tageszeiten berührender artikuliert wird – ich könnte es nicht!
Euer, Kultur Jack!

Foto Beitragsbild: Pixabay

Über den Autor

Kultur Jack

Vor längerer Zeit in Wien geboren, und bis heute mit der Ortswahl glücklich! Da man von kultureller Leidenschaft allein schwer leben kann, bin ich, im kaufmännischen Bereich, selbständig tätig. Meiner Meinung nach, sollte man geistige Genüsse, nach deren Entdeckung, teilen und weitergeben, damit so viele Menschen wie möglich davon berührt werden. Es liegt ja auch im Sinne des Künstlers, sonst würde er ja kein Buch drucken lassen, oder Bilder zur Schau stellen. Mehr über mich !